Der Krieg am Ende der Welt
ausgestoßen und eingesperrt worden wäre, oder an die von ihm geleitete Verschwörung gegen die Monarchie. Trotz der Energie, dieseine Augen ausstrahlen, trotz seinen Gebärden, seiner Stimme können sie sich schwer vorstellen, daß er in der Hauptstadt auf der Rua do Ouvidor einen obskuren Journalisten mit fünf Revolverschüssen niederstreckte. Ihn hingegen bei der Gerichtsverhandlung erklären zu hören, er sei stolz, daß er das getan habe, und er würde es wieder tun, wann immer jemand das Heer beschimpfe, fällt nicht schwer. Doch vor allem erinnern sie sich seines Aufstiegs in der Öffentlichkeit nach seiner Rückkehr aus dem Mato Grosso, wo er bis zum Sturz des Kaiserreichs in der Verbannung lebte. Sie sehen ihn als den rechten Arm des Präsidenten Floriano Peixoto, als den Mann mit der eisernen Faust, der in diesen ersten Jahren der Republik alle Aufstände niederschlug, oder wie er in der revolutionären Tageszeitung O Jacobino seine Thesen zu einer Direktorialen Republik ohne Parlament, ohne politische Parteien verfocht, in der das Heer, wie in der Vergangenheit die Kirche, das Nervenzentrum einer furios dem wissenschaftlichen Fortschritt zugewandten Gesellschaft sein sollte. Sie fragen sich, ob es stimmt, daß er nach dem Tod von Marschall Floriano Peixoto auf dem Friedhof, während er die Trauerrede auf den Verstorbenen hielt, einen Nervenzusammenbruch bekam. Es hieß, mit der Machtübernahme durch einen Zivilisten, den Präsidenten Prudente de Moraes, sei das politische Schicksal von Oberst Moreira César und der sogenannten »Jakobiner« besiegelt. Aber das kann nicht sein, sagen sie sich, denn wenn es so wäre, stünde er nicht hier in Queimadas, an der Spitze des berühmtesten Regiments von ganz Brasilien, von der Regierung mit einer Mission beauftragt, von der er ohne Zweifel mit einem Zuwachs an Prestige nach Rio zurückkehren wird.
»Ich bin nicht nach Bahia gekommen, um in die lokalen politischen Kämpfe einzugreifen«, sagt er eben und deutet, ohne hinzusehen, auf die von der Decke hängenden Plakate der Republikanischen Partei und der Autonomistischen Partei. »Das Heer steht über dem Streit der Parteien, am Rande der internen politischen Machtkämpfe. Das Siebte Regiment ist hier, um eine monarchistische Verschwörung niederzuschlagen. Denn hinter den Räubern und verrückten Fanatikern von Canudos steht eine Verschwörung gegen die Republik. Diese armen Teufel sind ein Werkzeug der Aristokraten, die sich mitdem Verlust ihrer Privilegien nicht abfinden und nicht wollen, daß Brasilien ein modernes Land wird. Werkzeug auch bestimmter fanatischer Priester, die sich mit der Trennung von Kirche und Staat nicht abfinden, weil sie dem Kaiser nicht geben wollen, was des Kaisers ist. Und anscheinend sogar Englands, das bestrebt ist, dieses korrupte Kaiserreich wiederherzustellen, das ihm erlaubt hat, den gesamten brasilianischen Zucker zu lächerlich niedrigen Preisen zu kaufen. Doch sie täuschen sich. Weder die Aristokraten noch die Pfarrer, noch England werden Brasilien noch einmal die Gesetze diktieren. Das Heer wird es nicht zulassen.«
Er hat zunehmend lauter und die letzten Sätze mit Feuer gesprochen, dabei die rechte Hand auf die im Patronengürtel steckende Pistole gelegt. Als er schweigt, liegt ehrfürchtige Erwartung über dem Raum, man hört das Surren der Insekten, die wie wild über den Schüsseln voll Essen schwirren. Der älteste der Journalisten, ein Mann, der trotz der glühenden Hitze in einer karierten Jacke steckt, hebt schüchtern die Hand, in der Absicht, einen Kommentar abzugeben oder eine Frage zu stellen. Doch der Oberst erteilt ihm das Wort nicht; er hat ein Zeichen gegeben, und zwei im voraus instruierte Ordonnanzen heben eine Kiste vom Boden auf, stellen sie auf den Tisch und öffnen sie: Gewehre sind darin.
Moreira César, die Hände auf dem Rücken verschränkt, geht langsam vor den fünf Journalisten auf und ab.
»Erbeutet im Sertão von Bahia, meine Herren«, sagt er ironisch, als wolle er jemanden verspotten. »Wenigstens die werden nicht mehr nach Canudos gelangen. Woher kommen sie? Nicht einmal die Fabrikmarken sind entfernt worden. Liverpool! Nie hat man solche Gewehre in Bahia gesehen. Noch dazu mit einer Spezialvorrichtung zum Abschießen von Kugeln mit Sprengladung. So erklären sich die Einschußlöcher, über die sich die Militärärzte gewundert haben: Einschußlöcher von zehn, zwölf Zentimeter Durchmesser. Wie von Granaten, nicht wie von Kugeln. Ist
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