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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Dubosarsky
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war nur ein Jahr dort, du weißt schon, dieses Mädchen. Und du hättest mal ihren Akzent hören sollen, als sie zurückkam.«
    »Halt einfach die Klappe«, flüsterte Samuel. »Halt die Klappe.«
    Theodora zuckte die Achseln. Sie war an Samuels Gesprächsmanöver gewöhnt.
    »Ich frage mich, was Zaide davon halten wird«, sagte sie schließlich. Zaide war der Name, den sie für Elias benutzten – das jiddische Wort für Großvater.
    Elias war sprachlos, als er davon hörte. Hannah rief ihn nach dem Mittagessen an, um es ihm zu erzählen, und er war so still, dass sie für einen Moment glaubte, die Leitung wäre tot.
    »Dad?«, sagte sie. »Bist du noch dran?«
    In Elias ’ Kopf drehte sich alles; es war ein Gefühl, das er seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Er leckte sich über die Lippen, aber seine Zunge war trocken.
    »Ich bin hier«, sagte er.
    »Ich schätze, für ihn ist es eine großartige Gelegenheit«, sagte Hannah traurig.
    »Und … wann … würde … das … stattfinden?«, fragte Elias. Jedes Wort kam sehr langsam, wie bei einer mühevollen Übersetzung.
    »Na ja, er meint, dass wir Ende Juli umziehen sollten.« Es war einfach alles unvorstellbar. »Damit wir Zeit haben, uns einzuleben und so weiter, du weißt schon. Ein Haus suchen, eine Arbeit für mich, eine Schule für die Kinder, all so etwas.«
    »Und was sagt Pearl dazu?«, fragte Elias. »Sie dürfte da ein Wort mitzureden haben, sollte man annehmen.«
    Elias hatte Pearl nie kennengelernt. Pearl kam nur selten nach Sydney, und Elias war zwar in Vietnam gewesen und am Kap der guten Hoffnung in Südafrika, aber noch nie in Melbourne. Woran sich voraussichtlich auch nie etwas ändern würde, solange keine tödliche und ungewöhnliche Epidemie ausbrach, die ihn dorthin lockte, um sie zu untersuchen.
    Elkanah erzählte es Pearl tags darauf, als er für eine Aufführung der Tosca nach Melbourne flog. Vorher rief er an, um sicherzugehen, dass Rhody nicht zu Hause war, fest entschlossen, nicht einmal den Schatten dieses widerlichen alten Giftzwergs je wieder seinen Weg kreuzen zu lassen.
    Wie es der Zufall wollte, war nur Bea daheim bei ihrer Mutter. Pearl wusste so gut wie nie, wo Grace, Annie und Elizabeth sich gerade aufhielten. Aber zumindest auf Bea, die nirgendwo lieber war als zu Hause, konnte sie sich verlassen.
    »Ich überlege, ein Vertragsangebot aus Philadelphia anzunehmen«, ließ Elkanah so beiläufig wie möglich fallen. »Dort hinzuziehen und ein paar Jahre dort zu leben.«
    Pearl und Bea runzelten fragend die Stirn, ihre schwarzen Ponys glänzten. Worauf wollte er hinaus? Sie waren weniger unbedarft als Hannah.
    »Warum?«, sagte Pearl misstrauisch.
    »Weil die Gelegenheit sich bietet?«, schlug Elkanah vor.
    Pearl und Bea schauten ihn vom Sofa aus mitleidig an.
    »Dein Vater lebt in der Vergangenheit«, erinnerte Pearl Bea milde. »Daran dürftest du dich inzwischen gewöhnt haben.«
    »Was sagt Hannah dazu?«, fragte Bea.
    »Oh, die ist ziemlich begeistert«, sagte Elkanah. »Ihr wisst schon, Philadelphia. Großartige Stadt. Geschichtlich betrachtet, und kulturell. Viele Einwohner.«
    »Ja«, sagte Pearl nachdenklich. »Ich schätze, da dürfte kein Mangel an Drogenabhängigen und Alkoholikern herrschen, um sie ausreichend auf Trab zu halten.«
    Elkanahs Miene sackte nach unten, als wäre ihm dieser Aspekt der ganzen Sache noch nie aufgefallen. Drogenabhängige in Philadelphia. So ausgedrückt, klang es schrecklich.
    »Und meine Tochter?«, fragte Pearl. »Was sagt sie dazu?«
    »Und was ist mit Samuel?«, fragte Bea. »Was hält er davon?«
    »Kinder, Kinder«, murmelte Elkanah, der von Sekunde zu Sekunde unentschlossener wirkte. »Für Kinder ist das Leben ein einziges großes Abenteuer.«
    »Ah«, sagte Pearl. Sie warf Bea einen bedeutungsvollen Blick zu. »Worum geht es hier eigentlich in Wirklichkeit, Elkanah?«
    Sie hatte seinen Vornamen seit Jahren nicht benutzt.
    Während Elkanah in Melbourne war, kam Randolph Butcher auf einen Besuch bei Hannah vorbei, einen Strauß langstieliger, elegant herabhängender, purpurfarbener Blumen in der Hand. Theodora, die ihm die Tür öffnete, musste an das Märchen von Hans Christian Andersen denken, in dem die Blumen eine ganze Nacht durchgetanzt hatten.
    »Dreimal darfst du raten!«, rief sie sofort. »Wir ziehen nach Amerika!«
    »Amerika«, sagte Randolph tonlos. »Wie außergewöhnlich.«
    Randolph nahm einen Drink und blieb zum Abendessen.
    »Bist du überhaupt ausreichend

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