Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
ein schwieriger Patient. Sie wollte so gern glauben, dass Fox recht hatte und ihr Bruder es nicht tun würde. » Also gibt es Hoffnung?«
» Für Sie ja«, sagte er und betrachtete die dicken weißen Roben in seiner Hand, die die Ehefrauen für sie dagelassen hatten. » Kaidan hat schon einmal einen Rückzieher gemacht, und er könnte es noch einmal tun. Für mich gibt es weniger Hoffnung.«
» Wieso?«
» Weil Kaidan noch nie davor zurückgeschreckt ist, jemanden zu töten. Aber ich werde mich nicht kampflos ergeben.« Er legte die Roben wieder auf den Tisch, griff nach einem der Hocker, die in der Ecke standen und zeigte auf die Tür. » Versuchen Sie, die Tür so lange wie möglich geschlossen zu lassen.« Er hob den Hocker über den Kopf und warf ihn gegen das Fenster, so dass die Scheibe zerbrach.
» Was machen Sie da, Nathan? Wir können nicht fliehen. Das Fenster ist vergittert.«
» Ich versuche auch nicht zu fliehen. Noch nicht.«
» Was machen Sie dann?«, fragte sie und hörte, wie Schritte auf ihre Tür zueilten.
Er trat an das kaputte Fenster. » Ich besorge uns eine Versicherung.«
Als Kaidan in den großen Saal trat, waren die Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen. Normalerweise aß die Indigo-Familie ihre Hauptmahlzeiten im Speisesaal, aber an Esbat bekamen die jüngeren Kinder, die noch nicht geschlechtsreif waren, ein frühes Abendessen und wurden dann in die Hütten gebracht, bevor die Erwachsenen sich im großen Saal versammelten, um ihr Ritual zu zelebrieren und das Fasten zu brechen. Man hatte den mittleren Bereich des großen Raums freigeräumt und den Holzboden mit Gebetsteppichen ausgelegt. An den Wänden reihten sich lange Tische, beladen mit Tellern, Kelchen und Besteck, sowie Weinflaschen und Schüsseln voll Essen. Am Kopfende der Halle stand ein Podest, das aus zwei Ebenen bestand. Ein großer Tisch mit drei thronähnlichen Stühlen an einem Ende beherrschte die erste Ebene. Blumenarrangements schmückten die Tische und Wände. Das aufwendigste Arrangement, ein Torbogen, gekrönt mit weißen Lilien, zierte die obere Ebene des Podests.
Der Seher stand neben dem Tisch auf dem Podest und glättete das Bild des Vitruvianischen Mannes an der Wand. Als Kaidan seinen Vater sah, musste er an Fox’ Worte denken. Der Psychiater hatte eine Menge Mist erzählt, aber in einer Sache hatte er recht: Kaidans Aura war reiner als die seines Vaters, und dafür hatte er ihm Respekt zu zollen. Doch der Gedanke, in jetzt zur Rede zu stellen, ließ sein Herz rasen. Er hatte kein Problem, sich anderen gegenüber kaltblütig und furchtlos zu verhalten, aber vor dem Seher war er noch immer ein verunsichertes Kind, das sich nach Anerkennung sehnte. Er beobachtete, wie sein Vater eine Weinflasche nahm und einen der Helfer heranwinkte. » Hat man die Kräutersäcke in den Wein gelegt?«
Der Mann verneigte sich und führte die Hand an die Stirn. » Ja, Seher.«
» Gut.« Der Blick des Sehers glitt durch den Saal und ruhte dann auf dem aufwendigen Blumenarrangement auf dem oberen Podest. Er lächelte. Dann entdeckte er seinen Sohn und winkte ihn zu sich. » Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, Kaidan. Alles ist vorbereitet.«
» Ich muss mit dir über heute Nacht reden.«
» Auch ich muss mit dir reden. Komm, gehen wir ein Stück.«
Draußen ging die Sonne unter. Der Himmel war klar, und bald würde der Mond über den Bäumen aufgehen. Kaidan konnte die gespannte Erwartung spüren, die in der Luft lag, als sein Vater ihn in einen ruhigeren Teil des Dorfes führte, in der Nähe des verbotenen Waldes. Aufgeregte Grüppchen von Kultmitgliedern liefen an ihnen vorbei, verbeugten sich und führten zum Gruß die Hand an die Stirn. Worüber wolltest du mit mir reden?«, fragte der Seher.
» Es geht um Sorcha.« Kaidan atmete tief ein und stählte sich für den Zorn seines Vaters, der ihn nun treffen würde. Dabei griff er nervös an sein Messer. Beinahe wünschte er, Fox hätte wirklich zugestochen. Es hätte die Dinge so viel einfacher gemacht. Wenn sein Vater sich jetzt weigerte, ihm zuzuhören, konnte er immer noch damit drohen, das Messer gegen sich selbst zu richten. » Ich möchte das heute Nacht nicht tun. Ich werde es heute Nacht nicht tun.«
Der Seher betrachtete ihn einen Moment lang, blieb jedoch ruhig. » Warum nicht?«
» Ich habe immer alles gemacht, was du von mir verlangt hast. Alles. Aber das hier werde ich nicht tun. Ich kann es nicht.«
Die Augen seines Vaters verengten sich zu
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