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Der langsame Walzer der Schildkroeten

Der langsame Walzer der Schildkroeten

Titel: Der langsame Walzer der Schildkroeten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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er.«
    »Ich habe aber keine Babybücher!«
    »Nimm irgendwas! Er liest alles. Wenn’s sein muss, auch das Telefonbuch …«
    Ginette holte das Telefonbuch und gab es Junior.
    »Ich hab aber nur die Gelben Seiten …«
    Marcel winkte matt ab. Junior nahm das Telefonbuch, öffnete es, legte einen Finger auf die Seite und begann sie vollzusabbern.
    »Schon ein komischer kleiner Kerl, den du da hast! Warst du schon mal beim Arzt mit ihm?«
    »Wenn das das einzig Komische in meinem Leben wäre, wär ich der glücklichste Mann der Welt …«
    »Jetzt red endlich und hör auf zu heulen, du verkühlst dir noch die Augen!«
    Er schniefte, schnäuzte sich in die Papierserviette, die Ginette ihm hinhielt, schaute sie ängstlich an und sagte: »Es ist wegen Choupette. Sie ist verhext worden.«
    »Verhext! So was gibt es doch gar nicht!«
    »Wenn ich’s dir doch sage: Jemand hat sie mit Nadeln traktiert.«
    »Mein armer Marcel! Jetzt ist dir endgültig die Schüssel gesprungen!«
    »Lass mich doch erst mal erzählen … Anfangs war ich genau wie du, ich wollte es nicht glauben. Aber dann konnte ich es einfach nicht mehr übersehen …«
    »Was? Sind ihr Hörner gewachsen?«
    »Du bist blöd! So was geht unauffälliger!«
    »So unauffällig, dass ich nicht daran glaube.«
    »Jetzt hör mir doch endlich zu!«
    »Ich hör dir ja zu. Los, raus mit deiner Geschichte!«
    »Sie hat keine Lust mehr auf gar nichts, sie fühlt sich leer wie eine Badewanne, liegt den ganzen Tag wie festgenagelt im Bett und plaudert nicht mehr mit dem Kleinen. Darum wächst er auch so schnell … Er will raus aus den Windeln, um ihr zu helfen.«
    »Ihr seid doch alle übergeschnappt!«
    »Sie spricht kaum noch. Es ist das reinste Drama, wenn ich sie mal dazu bringen will, aufzustehen. Sie sagt, sie habe Messer im Rücken, sie sei zweihundert Jahre alt, ihr ganzer Körper würde knirschen … Und so geht das schon seit drei Monaten!«
    »Du hast recht, das sieht ihr nicht ähnlich …«
    »Irgendwann hab ich Madame Suzanne gerufen, du weißt schon, unsere …«
    »Die Frau, die du Seelenheilerin nennst und ich Knocheneinrichterin?«
    »Ja. Und sie war sich sicher: Jemand hat Choupette mit einem Fluch belegt. Jemand will, dass sie ganz langsam zugrunde geht. Seitdem versucht sie, den Fluch aufzuheben, aber jedes Mal, wenn es ihr etwas besser geht, wenn sie zwei gute Tage hat, etwas isst, lächelt, den Kopf an meine Schulter legt und ich den Atem anhalte … dann hat sie einen Rückfall. Sie sagt, sie spürt, wie ihr der Stecker gezogen wird. Wie man sie aus dem Leben rauszieht. Madame Suzanne weiß nicht mehr weiter. Sie beteuert, dass es ein mächtiger Zauber ist. Dass er lange anhalten wird. Und in der Zwischenzeit gehen wir beide drauf. Ich hab dem Mädchen, das sich um den Kleinen kümmert, gesagt, es soll Choupette nicht mehr von der Seite weichen. Ich habe Angst, dass sie eine Dummheit macht. Und ich passe in der Zeit auf Junior auf …«
    »Ihr seid beide überlastet, das ist alles. Das ist ja auch kein Alter mehr, um noch ein Baby zu bekommen!«
    Marcel starrte sie an, als wollte sie ihm das Einzige nehmen, wofür es sich zu leben lohnte. Alles Blau wich aus seinem Blick, und für einen Moment wirkten seine Augen wie ausgewaschen.
    »Sag so was nicht, Ginette! Ich bin schwer enttäuscht von dir.«
    »Tut mir leid. Du hast recht. Ihr seid stark wie zwei Eichen. Zwei Eichen mit ’nem Dachschaden!«
    Sie trat neben Marcel und legte eine Hand auf seinen Stiernacken. Streichelte ihn zärtlich. Er ließ sich auf seine gekreuzten Arme sacken und stöhnte.
    »Hilf uns, Ginette, hilf uns … Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll.«
    Sie massierte weiter seinen Nacken und seine Schultern. Redete leise auf ihn ein, sprach von seiner Stärke, seinem unfehlbaren Geschäftssinn, seiner Beharrlichkeit, seiner Schläue, dem Firmenimperium, das er ganz allein aufgebaut hatte, indem er ausschließlich auf seinen Instinkt vertraute. Mit Bedacht wählte sie nur kraftvolle Wörter, um seine Seele zu stärken.
    »Hast du schon mit jemand anderem darüber gesprochen?«
    Er sah sie verzweifelt an.
    »Mit wem sollte ich denn darüber sprechen? Die erklären mich doch alle für verrückt!«
    »Das mit Sicherheit.«
    »Ich hab genauso reagiert wie du, als Madame Suzanne mir das gesagt hat. Ich hab ihr gesagt, sie soll sich zum Kuckuck scheren. Aber dann habe ich mich informiert. Ich habe regelrechte Nachforschungen betrieben. So was existiert tatsächlich, Ginette.

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