Der letzte Engel (German Edition)
und machte ein Nickerchen. Er träumte, dass Lazar seine Arbeit gemacht hatte, und fühlte sich nach dem Erwachen erfrischt und voller Tatendrang. Für Sekunden war er versucht, Alexei anzurufen, um ihm die gute Botschaft mitzuteilen. Dein Zar kommt bald zurück . Er bremste sich und kehrte in ein Restaurant ein. Nach dem Essen spazierte er durch den Schlosspark und setzte sich erneut in ein Café, um den Nachmittag mit einem Stück Kuchen abzuschließen. Das Handy vibrierte in seiner Hosentasche. Es war Erik Hakonson und er klang gar nicht gut.
»Er ist tot«, sagte er, und seine Stimme war so voll Bitterkeit, dass sie fast schon erstickt klang. »Wieso ist er schon tot?«
»Beruhige dich«, sagte der Zar und spürte, wie sich sein Herz vor Freude zusammenzog. »Wir haben damit nichts zu tun.«
»Was heißt, ihr habt damit nichts zu tun?«, fragte Erik verwirrt zurück.
Der Zar biss sich auf die Zunge. Er hatte keine Ahnung, warum er das gesagt hatte. In letzter Zeit passierte es ihm öfter, dass die Wahrheit tat, was sie wollte.
»Ich meinte, wir wissen nicht, was passiert ist«, sagte er.
»Ich dachte, er hat noch drei Jahre!«
»Hätte er auch gehabt. Ich weiß nicht –«
»Ich sitze an seinem verdammten Bett und er ist tot!«, fiel er dem Zaren ins Wort. »Was ist passiert? Was zum Teufel ist nur passiert?«
»Erik, beruhige dich, wir –«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Der Zar schaute auf sein Stück Kuchen, er schaute auf den doppelten Espresso daneben und hätte schwören können, dass er der glücklichste Mensch in ganz Berlin war. Und dann kamen die Zweifel. Wenn das Lazars Arbeit war, wieso ist Erik noch am Leben? Und wieso steht das Haus nicht in Flammen? Der Zar wählte Eriks Nummer. Es klingelte und klingelte. Er wollte schon auflegen, als Erik ranging.
»Was?«
»Hör jetzt gut zu. Es tut mir leid, was dem Jungen passiert ist, aber er ist nicht der Einzige, den es erwischt hat. Wir wollten nicht, dass du es übers Telefon erfährst. Das Haus der Kormorane wurde zerstört. Auch Natalia ist tot. Es tut mir wirklich leid, Erik. Die Bruderschaft jagt uns wieder. Was auch immer Motte widerfahren ist, du weißt, was du zu tun hast.«
Nach einer langen Pause antwortete Eriks’ müde Stimme:
»Ich kümmere mich darum.«
1983 war das letzte Mal, dass eine Leiche öffentlich entdeckt wurde. Ihr Tod warf eine Unmenge von Fragen auf. Die Jungen waren neunzehn Jahre alt und im Vorstadium des Segens, als die Bruderschaft das Haus an der Adria stürmte. Einer der Jungen wurde durch die Explosion nach draußen geworfen und dort fand ihn die Polizei. Die Familie schaltete sich ein und zahlte eine gute Summe Schmiergeld, damit der Obduktionsbericht aus den Akten verschwand. Die Veränderung der Rückenknochen war schon fortgeschritten, und jeder Arzt mit einem Hauch Fantasie konnte sehen, dass sich nicht nur die Schulterblätter des Jungen auflösten, sondern was da an ihrer Stelle nachwuchs. Seitdem gab sich die Familie sehr viel Mühe, ihre Toten verschwinden zu lassen.
Zwei Stunden später saßen die Gräfinnen vollkommen resigniert auf der Terrasse, nachdem ihnen der Zar von Mottes Tod berichtet hatte. Ein wenig war es, als hätte er den Damen mit wenigen Worten fünfzig Lebensjahre gestohlen. Sie sackten in sich zusammen, sie senkten die Köpfe und starrten auf den Tisch.
»Jetzt habt euch mal nicht so«, sagte der Zar. »Sein Tod war eh unvermeidlich. Zumindest hat er den Segen nicht miterleben müssen.«
Als die Gräfinnen aufblickten, glitzerten ihre Augen wütend, und der Zar bereute es, den Mund geöffnet zu haben.
»Er war unsere letzte Hoffnung«, erinnerte ihn Pia. »Falls du das vergessen haben solltest.«
»Ich habe es nicht vergessen. Auch ich habe fast zweihundert Jahre lang gehofft, da wird man schon müde.«
»Du bist ein Bastard«, sagte Natascha.
»Ein kalter, kalter Bastard«, fügte Pia hinzu.
Der Zar konnte nicht widersprechen, er war ein kalter, kalter Bastard. Ein Bediensteter brachte ihm Eistee, der Zar legte eine Hand um das Glas und wünschte sich, es wäre Champagner. Aber es war wohl der falsche Moment, um mit den Gräfinnen anzustoßen.
»Wir sollten ihm Kolja hinterherschicken«, sagte Natascha.
»Wem?«, fragte der Zar verwirrt.
»Lazar natürlich.«
Der Zar lachte.
»Wozu das? Damit die Bruderschaft weiß, dass es uns auch noch gibt? Wir haben vierzehn Jahre den Kopf untenbehalten, und das willst du mal so eben zerstören, indem du Lazar unseren
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