Der letzte Engel (German Edition)
er, dass ich …«
Erik schaute auf seine Hände.
»… die Flügel berührt habe.«
»Also ist es wahr«, sagte Pia erleichtert.
»Was? Was ist wahr?«, fragte Erik.
»Jean-Luc hat sich gemeldet«, sagte der Zar schnell, bevor die Gräfinnen zu Wort kommen konnten. »Er hat uns vor Lazar gewarnt und gesagt, eines der Mädchen aus dem Haus der Kormorane sei mit einem Engel auf dem Weg zu uns.«
Erik glaubte, sich verhört zu haben.
»Ihr wusstet , dass Lazar kommt, und habt mir das nicht gesagt!?«
Der Zar antwortete mit ruhiger Stimme.
»Philipp hat mit seinen Männern seit gestern Abend dein Haus bewacht. Ihr seid die ganze Zeit in Sicherheit gewesen.«
Erik stand auf. Es war, als hätte er den Zaren nicht gehört.
»Ihr habt mich überwachen lassen und mir nichts davon gesagt?!«
»Natürlich haben wir dir nichts gesagt. Sieh dich mal an«, bat ihn der Zar. »Es gibt nichts Schlimmeres, als Erik Hakonson in Panik zu versetzen. Also nimm Platz und beruhige dich!«
Erik nahm wieder Platz. Er wusste, dass der Zar recht hatte. Er war noch nie gut in Notsituationen gewesen. Für einen Moment starrte Erik auf seine Hände, dann stellte er fest:
»Lazar hatte nichts mit Mottes Tod zu tun.«
»Was redest du da?«, fragte Pia.
»Motte ist einfach so gestorben. Keine Schusswunde, nichts.«
Der Zar lachte.
»Welcher Sechzehnjährige stirbt denn bitteschön einfach so?«
»Ich weiß es nicht. Aber er lag in seinem Bett und war tot.«
»Vielleicht vergiftet«, sagte Natascha.
»Vergiftet?«
Der Zar sah die Gräfin ungläubig an.
»Meine liebe Natascha, klingt das für dich nach der Bruderschaft?«
»Außerdem hätte ich doch wohl gemerkt, wenn jemand in der Nacht in mein Haus gekommen wäre, oder?«, sagte Erik.
Sie gaben ihm recht, natürlich hätte er das gemerkt.
»Erik«, sagte Pia leise, »wie hat der Engel ausgesehen?«
Erik hob die Schultern. Er wollte »normal« sagen, aber das hätte nicht gepasst.
»Und das Mädchen?«, fragte Pia weiter.
»Vielleicht zehn Jahre alt, schwarzes Haar, Pagenschnitt. Sie ist mit dem Engel und Lars weggegangen.«
»Wer ist Lars?«
»Mottes bester Freund.«
»Und wohin sind sie bitteschön gegangen?«, fragte der Zar ungeduldig.
»Ich weiß es nicht, ich konnte ihnen ja schlecht folgen, die Polizei hat mich befragt, ich konnte da doch nicht einfach wegrennen.«
Er sah von den Gräfinnen zum Zaren.
»Was tun wir jetzt?«, fragte er.
»Wir warten auf das Mädchen«, sagte Pia.
»Und den Engel«, sagte Natascha.
»Und was ist, wenn sie gar nicht vorhaben, hierherzukommen?«, fragte Erik nüchtern.
»Dann gehen wir eben zu ihnen«, sagte der Zar.
Die Verbindung brauchte eine Weile, bevor sie aufgebaut war. Als Alexei schließlich den Anruf entgegennahm, lärmte Musik aus dem Hintergrund, und der größte Fan des Zaren grinste in die Kamera. Sein Oberkörper war nackt bis auf eine rote Krawatte, die wie ein eleganter Galgen um seinen Hals hing. Alexei war stockbetrunken, aber das machte nichts, denn selbst im betrunkenen Zustand war er die Nummer eins am PC .
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte der Zar.
Alexei hatte das Ergebnis nach vierzig Minuten. Er musste in dieser Zeit vier Frauen abwimmeln, die mit ihm tanzen wollten, er musste zwei neonfarbene Cocktails trinken, die ihm hingestellt wurden, während er im Internet das richtige Programm suchte, fand und installierte. Dabei redete er unentwegt mit dem Zaren und erklärte ihm, was er da genau tat. Der Zar rührte sich keine Sekunde von seinem Stuhl und hatte beide Ohren auf Durchzug gestellt. Er konnte das. Er konnte einfach nur dasitzen und in die Gegend starren wie ein Reptil, das sich sonnt. Der Zar brauchte nicht einmal die Sonne dazu. In diesem Fall gab es sogar etwas zu sehen. Die Kamera zeigte in Alexeis Einzimmerwohnung. Frauen. Männer. Sogar ein paar Kinder rannten herum. In Moskau wurde gefeiert, in Moskau wurde gelebt. Und ich sitze hier und warte auf ein Mädchen und einen Engel ohne Flügel, dachte der Zar und verspürte Sehnsucht nach seiner Heimat.
»Gut, ich habe sie lokalisiert«, sagte Alexei nach genau vierzig Minuten.
»Wo?«
»Sie sitzen im Süden von Berlin am Wannsee. Ihr Handy ist zwar ausgeschaltet, aber das macht nichts, der Akku ist geladen und sendet alle dreißig Sekunden ein Signal über die SIM -Karte aus. Ich liebe diese neuen Handys. Hier sind die Koordinaten. Ich kann die Position aber nicht auf den Millimeter bestimmen. Aber wenn ihr dort ankommt und euch
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