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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Erik.
    »Verdammt, ich habe im Moment andere Probleme«, erwidert der Zar. »Wir sind fünfzig Meter von diesem verfluchten Strand entfernt und kommen kaum voran, weil uns ein Ruder verloren gegangen ist.«
    »Du hast den Sicherheitsdienst nie angerufen«, wiederholt Erik.
    Der Zar schweigt.
    »Wie konntest du das nicht tun?!«
    »Mensch, Erik, du hast doch selbst gesagt, der Junge ist einfach so gestorben.«
    Erik schweigt.
    »Da hätte der Sicherheitsdienst auch nichts –«
    »Du hast meinen Jungen nicht beschützt«, unterbricht ihn Erik.
    »Jetzt hör aber auf!«, sagt der Zar und senkt mit einem Mal seine Stimme. »Er war nicht einmal dein Fleisch und Blut.«
    »Auf eine Weise war er das schon.«
    Der Zar lacht.
    »Ich leg jetzt auf, wir legen gleich am Ufer an. Lass uns später reden.«
    »Leb wohl«, sagt Erik.
    »Was heißt denn das schon wieder?«
    »Das heißt: Leb wohl, mein Zar.«
    Erik klappt das Handy zu und wendet den Wagen. Er kurbelt das Fenster herunter und lehnt den Arm raus. Der Wind kühlt seinen Schweiß, er kühlt die Erinnerung und lindert die Wunden. Erik weiß, was jetzt auch passiert, es gibt kein Zurück mehr.

DER SCHÜTZE
    P aulsen fühlt sich wie ein Panther vor dem Sprung. Geölt, gesichert, bereit. Cedric hat gesagt: »Ich melde mich.« Niemals hätte Paulsen erwartet, dass das zwei Stunden dauern würde. Aber er beschwert sich nicht, nicht wirklich. Er kann geduldig sein, er kann beobachten, er kann nachdenken, und was er besonders gut kann, das ist warten. Hauptsache er sitzt dabei nicht in einem verdammten Auto. Er muss grinsen, wenn er an den Raben zurückdenkt. Die Wunden, die ihm der Vogel heute Morgen verpasst hat, jucken erbärmlich, aber er hat es dem Vieh gezeigt.
    Mann, habe ich es dem Vieh gezeigt!
    Paulsen weiß, dass er dringend eine Spritze braucht. Aber jetzt mal ehrlich, wer stirbt heute schon an Tollwut?
    Nur Idioten, die Angst vor Raben haben.
    »Ich bin kein Idiot«, murmelt Paulsen und hört auf, den Schorf abzukratzen.
    Lazar hat ihn ein wenig nervös gemacht, und Paulsen tut sein Bestes, die Nervosität zu ignorieren. Lazar klang kaputt. Als hätte er in einen Abgrund geschaut. Der Gedanke gefällt Paulsen. Wer in den Abgrund schaut, der ist danach kaputt. Manchmal bereut er es, nicht Philosophie oder ein paar Semester Psychologie studiert zu haben. Sein Kopf ist voll mit solchen Weisheiten und was tut er? Er fängt nichts damit an.
    Paulsens Hände arbeiten, ohne dass er hinsehen muss. Er baut die TAC -50 das vierte Mal zusammen, lautlos und mit Ruhe. Die ersten beiden Male hat er sie auseinandergenommen und wieder montiert, um ein Gefühl für das Gewehr zu bekommen. Ab dem dritten Mal war es reiner Spaß. Paulsen mag die sanften Geräusche – wie sich der Schlitten bewegt, wie das Magazin einrastet. Er könnte das den ganzen Tag machen und ist sich bewusst, dass ihm Cedric deswegen längst eine gescheuert hätte.
    Gut, dass ich das hier alleine meistern muss, denkt er, und er denkt: Lässig ist mein zweiter Name.
    Und lässig hat er die drei da unten im Auge. Sie stehen schon seit einer Weile vor dem Feuer und schauen aufs Wasser, und er fragt sich, warum sie sich nicht wieder setzen. Es wäre ihm lieber. Als er dabei war, das Zielfernrohr abzuschrauben, sah er sie telefonieren. Sie erinnerten an Gläubige eines Kults, der das Handy verehrt. Der Junge hielt es vor sich in der Hand, und das Mädchen beugte sich darüber, während der Mann einfach nur konzentriert auf die beiden runterschaute. Der Mann ist die einzige Gefahr, aber er macht Paulsen nicht wirklich Sorgen. Auch ohne Gewehr würde er ihn im Zweikampf schlagen.
    Paulsen verlagert sein Gewicht, etwas Erde rieselte den Abhang hinunter, dann ist es wieder still. Als der Wind vorhin gut stand, konnte er Fetzen ihrer Gespräche hören. Im Moment lauscht Paulsen auf andere Dinge. Zum Beispiel ob jemand den Weg runterkommt. Vor fünfzehn Minuten saß noch eine Gruppe von Leuten mit am Ufer. Paulsen hätte sie zwar alle problemlos wegpusten können, dafür hätte ihn aber Cedric zusammengeschissen und Lazar nie wieder eingestellt.
    Keine Zivilisten, lautete die oberste Regel der Bruderschaft.
    Paulsen hatte auch eine: Wenn ein Zivilist mir in die Quere kommt, ist er kein Zivilist mehr.
    Er klappt die Stützbeine aus und legt die Sicherung um. Die TAC -50 fühlt sich prächtig an. Sie hat zwar nur fünf Kugeln im Magazin, aber Paulsen weiß, dass er nicht mehr brauchen wird. Dennoch liegt das Ersatzmagazin

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