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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Prophezeiung. Nicht mehr und nicht weniger.
    Sucht den Schlüssel, der das Tor zu den Engeln öffnet. Und suchen müsst ihr, denn der Schlüssel ist verborgen im Kern des Lebens, verborgen tief in den Gebeinen. Denn wie das Wasser die Erde erweckt, werden es vier Engel sein, die uns erwecken.
    Barthom ließ sie die Passage wiederholen, dann fragte er, wo das Problem wäre.
    »Sind deswegen alle hier?«, fragte er.
    »Weswegen?«
    »Wegen des Fundes.«
    »Sie haben ihn gesehen?«
    »Mir wurde nur erzählt, ich sollte ihn mir ansehen, aber ich hatte bisher keine Zeit dafür. Ich habe mich lieber ein wenig in der Villa umgeschaut. Hier ist ja eine Menge los. Geht es darum?«
    Er lachte. Er füllte seine eigenen Fragen mit neuen Fragen.
    »Denken Sie wirklich, Sie haben Engel gefunden?«
    »Wir wissen, dass es Engel sind, mein Herr«, sagte Pia.
    »Darauf trink ich einen, meine Damen.«
    Er rührte sich einen Absinth an, die Gräfinnen konnten es nicht glauben, was der Mann für eine Ruhe hatte. Er rührte den Zucker, bis er sich gänzlich aufgelöst hatte. Nur das Klirren des Löffels war zu hören. Natascha hielt es nicht mehr aus.
    »Was, wenn wir fragen dürfen, verrät Ihnen die Passage?«, sagte sie.
    »Nun, die bessere Frage ist, wie viel wissen meine zwei Damen über Regeneration? Haben Sie von Abraham Trembleys Experimenten gehört? Er hat Süßwasserpolypen fein zerhackt und die einzelnen Stücke wieder in Wasser gelegt. Innerhalb eines Monats hat sich aus jedem Teil ein komplettes Tier entwickelt. Er hat –«
    »Was können zwei Skelette aus dem Eismeer mit Regeneration zu tun haben?«, unterbrach ihn Pia. »Sie sind tote Materie.«
    »Inkorrekt, Mademoiselle. Sie sind nur tote Materie, solange wir sie tote Materie sein lassen. Und genau das ist mit diesem Textauszug gemeint. Der Schlüssel ist in den Gebeinen verborgen, und der Schlüssel wartete darauf, benutzt zu werden.«
    Er hob sein Glas, das Lächeln entblößte seine Schneidezähne.
    »Auf Ihr Wohl, meine Damen!«
    Zwar sollte sich Gregor Mendel erst vierzig Jahre später zum Vater der Genetik aufschwingen, das Abenteuer der Vererbungslehre aber begann an diesem Wintertag in der Villa mit einem Gespräch zwischen zwei russischen Gräfinnen und einem niederländischen Naturforscher, der sich köstlich über den Engelsfund amüsierte. Sie redeten bis in den Morgen über die Weitergabe von Erbanlagen und das Rätsel der Regeneration. Sie benutzten das Wort Gen nicht. Sie nannten es schlicht und einfach das Erbe .
    »Das heißt, wir besitzen das Erbe«, fasste Gräfin Pia zusammen. »Das Erbe ist in den Knochen. Wir brauchen jetzt nur die richtige Herangehensweise, um es zu erwecken.«
    »Und dann?«, fragte Barthom.
    »Dann werden die Engel zurückkehren.«
    Barthom verlachte sie dieses Mal nicht. Auch kam er keinen Moment auf den Gedanken, dass die Gräfinnen ein vollkommen anderes Ziel verfolgten. Er hatte von dem Märchen nur einen Auszug gehört. Er sollte nie mehr erfahren.
    »Sie könnten mit uns an der Erforschung des Fundes arbeiten«, schlugen die Gräfinnen vor.
    Barthom schaute skeptisch.
    »Ein van Leeuwenhoek holt die Engel zurück?«
    Er schnippte einen Fussel von seinem Ärmel.
    »Nein, danke. Ich mache mich am Nachmittag auf die Rückreise nach Delft. Es war mir eine Freude, den Damen zu helfen, aber mein kranker Vater erwartet mich.«
    »Wollen Sie denn wirklich gehen, ohne den Fund gesehen zu haben?«, fragte Pia.
    »Vielleicht können Sie mit einem Blick feststellen, dass es keine Engel sind, und unsere Illusion auffliegen lassen«, sagte Natascha.
    Es war eine elegante Falle und der arme Barthom tappte ahnungslos hinein. Sie zeigten ihm die Skelette, dann öffneten sie die Truhe und präsentierten ihm die Flügel. Er wusste nichts von ihrer Wirkung, er war ein junger Mann, er glaubte an die Forschung und an sonst nichts. Aber eine Berührung reichte völlig und van Leewenhoek war verloren. Er sollte Delft und seinen Vater nie wiedersehen, er sollte sich so intensiv in die Arbeit stürzen, dass sein Haar innerhalb von wenigen Jahren ergraute.
    Das Fieber begann auch ihn zu verbrennen.
    Vier Stunden später, während seines ersten Zusammentreffens mit Yves Romain, präsentierte Barthom von Leeuwenhoek die brillante Idee, die Engel wiederauferstehen zu lassen. Der Forscher verlachte ihn. Dann sprach Barthom von der Theorie, die die Welt verändern sollte. Er sprach von dem Schlüssel in den Gebeinen, er sprach von der Kraft, die selbst

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