Der letzte Engel (German Edition)
vor zwei Jahren«, sagte ich, als wir davorstanden.
»Sehr gut, Scully, dann wollen wir uns mal umsehen.«
Natürlich wohnte jemand in dem Apartment, das ich damals mit meiner Mutter bezogen hatte. Wir setzten uns auf den Spielplatz schräg gegenüber und knabberten Schokoriegel. Wir mussten nicht lange warten. Eine Familie mit Zwillingen verließ das Apartment eine halbe Stunde später. Sie schoben einen Kinderwagen vor sich her und spazierten zum Wasser.
Und natürlich schlossen sie die Tür hinter sich ab.
»Wir könnten den Typen am Eingang reinlegen und so tun, als hätten wir den Schlüssel vergessen«, sagte Lars.
»Wir sehen nicht aus wie Zwillinge«, gab ich zu bedenken.
Wir starrten auf die Tür und überlegten, ob wir nicht um den Gebäudekomplex herumgehen sollten, denn vielleicht stand die Terrassentür offen. Wir rührten uns nicht von der Stelle. Die Erkenntnis kam mit der einbrechenden Dämmerung. Wir saßen auf einem Klettergerüst, ließen die Beine baumeln und sprachen nicht aus, wie schwachsinnig diese ganze Aktion war und wie bekloppt wir nur sein konnten, nach Dänemark zu reisen. Stattdessen starrten wir auf die Apartmenttür, als würde sie jeden Moment aufschwingen und uns reinlassen.
»Vielleicht gehen wir doch mal drum herum zur Terrasse«, sagte Lars.
»Ja, warum nicht«, sagte ich und blieb sitzen.
Uns war anzuhören, dass der Elan verpufft war. Lars gähnte, ich suchte im Rucksack, aber die Schokoriegel waren alle. Und genau da kam die Mutter der Zwillinge angerannt und öffnete die Tür und betrat das Apartment und trat mit zwei Nuckelflaschen wieder raus und verschwand zum Strand. Ohne die Tür abzuschließen.
»Kleinkinder können anstrengend sein«, sagte ich und sprang vom Klettergerüst.
»Ich finde besorgte Eltern klasse«, sagte Lars.
Wir spazierten über den Spielplatz und betraten das Apartment, als wäre es das Natürlichste der Welt. Wir schlossen die Tür hinter uns und standen einfach nur da.
»Und jetzt?«, fragte Lars.
Ich wusste es nicht. Ich dachte, es würde was Besonderes geschehen – dass ich vielleicht einen Flashback hatte oder den Geist meiner Mutter sah, der mir verriet, was damals passiert ist. Wäre Mulder da gewesen, hätte er wahrscheinlich einmal unter den Teppich geschaut und eine Nachricht von meiner Mutter gefunden, die dort seit zwei Jahren auf mich wartete.
»Was tust du da?«
Ich ließ den Teppich zurückklappen und sagte, ich hätte keine Ahnung, was wir hier taten. Lars sah unters Bett. Er machte einen Schrank auf, da hingen Klamotten, er machte den Schrank wieder zu.
»Wichtig ist, dass wir hier sind«, sagte er. »Oder?«
Ich setzte mich auf das gemachte Bett und betrachtete das Apartment, als wäre es ein trostloses Land. Nichts erinnerte an die vier Tage mit meiner Mutter. Aber wirklich nichts. Es war einfach nur ein Apartment mit Möbeln. Kein Geist schlenderte herum, keine verborgene Botschaft rief meinen Namen.
Lars setzte sich neben mich.
»Wir sind ein bisschen verrückt, nicht wahr?«
»Ein bisschen«, gab ich zu.
»Aber wir sind hier.«
»Wir sind hier.«
»Mensch, Motte, wein mal nicht.«
»Ich weine nicht«, sagte ich und wischte mir die Tränen weg.
Und dann hörten wir das Plärren und dann ging die Apartmenttür auf und die Familie kam rein und wir saßen auf ihrem Bett und die Zwillinge verstummten und zeigten auf uns.
Das war kein so guter Moment.
Natürlich holten sie die Polizei. Da half selbst die Kröte auf Lars’ T-Shirt wenig, denn sie sah plötzlich gar nicht mehr witzig aus. Sie sah jetzt aus, als wäre sie bekifft und würde zu einem Junkie gehören, der dänische Ferienhotels ausraubt. Der Polizist war ein drahtiger Kerl, der unsere Papiere sehen wollte. Auch wenn ich gedacht hatte, jeder Däne würde Deutsch verstehen, gab es Ausnahmen. Wir hatten natürlich keine Papiere dabei, nur die EC -Karte meines Vaters, und die wollte ich nicht zeigen, denn das wäre noch die Kirsche auf dem Kuchen, wenn der Polizist sah, dass wir zusätzlich eine EC -Karte geklaut hatten. Lars sagte, ich sollte mal stillsitzen und die Klappe halten. Er kramte sein bestes Englisch raus und begann mit dem Polizisten zu reden. Als Lars fertig war, hielt uns der Polizist sein Handy entgegen. Wir durften einen Anruf machen. Es war wie in einem müden Krimi. Ich wollte niemanden anrufen, ich wollte auch nicht in das dänische Gefängnis und Körbe flechten oder was immer man in dänischen Gefängnissen so macht.
»Wie
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