Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
Vom Netzwerk:
des Klosters wuchern ließ, drängten bereits die ersten Wallfahrer in die Kapelle und das Museum. Neben dem Standbild der schattenhaften Mutter Gottes fanden sich hier, siebenhundert Meter über der katalanischen Ebene, auch antike Artefakte aus dem Heiligen Land und Gemälde bedeutender Meister wie Monet, Degas oder Dali. Übervoll von Kunst, Glaube und Geschichte trotzten die Mauern von Santa Maria de Montserrat der Sonne und verbargen dabei doch noch einen ganz anderen Schatz.

    Unsichtbar durch die Macht der Hadeskappe glitt Jonas Mandelbrodt im Panzer Alexanders und mit dem flammenden Schwert an seiner Seite staunend durch die Gänge der prachtvollen Bibliothek von Montserrat. Hier standen Tausende Bücher aus zig Jahrhunderten: prachtvolle Folianten, Traktate und Inkunabeln aus aller Herren Länder. Menschenwissen, von Mönchen über Generationen mühselig von Hand auf Pergament gebannt, bis Johannes Gutenberg es aus ihren düsteren Schreibstuben befreit hatte.
    Fern von seinem Körper glitt Jonas beinahe ehrfürchtig zwischen den Regalen und den mächtigen Säulen hindurch. Dieser Hort des Wissens schien ihm wahrhaft würdig, eines der Siegel zu beherbergen, die zwischen der Welt und dem Untergang standen. Der Schatten des Engels hatte ihm geschildert, wo es sich verbarg, ihm die Stelle in der Mauer beschrieben, in der sich die geheime Tür befand. Dahinter führte eine schmale Wendeltreppe hinauf in das verborgene Stockwerk, wo sich das wertvollste Buch verbarg, das die Mauern von Santa Maria de Montserrat je beherbergt hatten. Dort oben lag es, die Alchimia Umbrarum , von John Dee selbst verfasst. In ihm vereinten sich Magie und Alchemie, wurde das überlieferte Wissen der Schattenschnitzer und die Erkenntnisse George Ripleys zu einem Ganzen zusammengefügt.
    Statt es zu vernichten, hatte der Rat dieses Buch – wie schon das Schattenstandbild des Italieners – zu einem Teil seines Plans und die Alchimia Umbrarum selbst zum vierten Siegel gemacht.
    Unbemerkt drang Jonas durch die verborgene Tür. Ein unsichtbarer Schatten, der genau wusste, wer ihn im Dachstuhl des Klosters erwarten würde. Der Wächter hatte ihn darauf vorbereitet, dass der, der dieses Siegel bewachte, jener Schatten war, der ihn aus seinem menschlichen Zuhause vertrieben und seinen treuen Hund Argos ermordet hatte. Wie sonderbar verwoben sich doch die Fäden des Schicksals, denn nun kam Jonas Mandelbrodt, um dem Henker des Rates zur Seite zu stehen.
    Zögernd glitt der Schatten des Jungen die letzten Stufen zu dem geheimen Stockwerk empor. Er fragte sich, in welcher Form der Henker ihm entgegentreten würde. Zwei andere Mitglieder des Rates, Skugga und Mademoiselle Stiny, hatte er in ihrer körperlichen Form bei ihren Siegeln angetroffen. Der Henker aber besaß, wenn er sich recht erinnerte, keinen eigenen Körper mehr. Nachdem sein eigener zerstört worden war, hatte Robert le Bourge, der Ketzerhammer, in den verhassten Leib eines Homunkulus’ fahren müssen. Aber der Wächter hatte auch angedeutet, dass der Verdammte sich einen neuen Körper untertan gemacht hatte …
    Es dauerte nicht lange, bis der Junge die schweren Schritte spürte, unter denen die groben hölzernen Dielen des Dachbodens erzitterten. Dann erblickte Jonas den Körper des Henkers – und er erkannte ihn. Eine Gestalt aus den alten kabbalistischen Legenden, die sein Schatten ihn gelehrt hatte: Ihm gegenüber stand der wuchtige, tönerne Leib des Golems. Jonas wusste sogar von dem Zettel in seinem Mund, der Shem, die der Figur erst Leben einhauchte. Einst hatte diese Gestalt, von der Kraft Hunderter Schatten erfüllt, das jüdische Ghetto Prags verteidigt …
    Im spärlichen Licht, das durch das kleine runde Fenster an der Stirnseite des Gebäudes fiel, wirkte die riesige Gestalt auf seltsame Art unwirklich. Jonas konnte sich kaum vorstellen, dass die Schritte dieses Ungetüms nicht bis in die Kapelle zu hören waren.
    Dann erblickte er im Zentrum des Dachbodens das Buch. Die Alchimia Umbrarum ruhte auf einem hölzernen, von filigranen Schattenschnitzereien überzogenen Podest. Ein weiteres Kunstwerk des Italieners, das der Vernichtung entgangen war …
    Im Schutz der Hadeskappe manifestierte Jonas sich auf dem Dachboden, um das Buch in Augenschein zu nehmen. Kaum aber, dass er sich unsichtbar, das Flammenschattenschwert in der Hand, vom Boden emporstemmte und Gestalt annahm, regte der Golem sich, und in den Schatten des Dachbodens erklang die Stimme Robert le

Weitere Kostenlose Bücher