Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Wunsch

Der letzte Wunsch

Titel: Der letzte Wunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
Vom Netzwerk:
Geschrei mit den üblichen leeren Versprechungen, sich nie wieder irgend so einem lausigen Kerl hinzugeben, müsse eine Frau bei der Geburt irgendeine Gottheit zu Hilfe rufen, und die Melitele sei dafür wie geschaffen. Und da die Frauen seit eh und je Kinder zur Welt brächten und es auch weiterhin tun würden, führte der Dichter aus, brauche sich die Göttin Melitele um ihre Beliebtheit keine Sorgen zu machen.
    »Geralt.«
    »Da bist du ja, Nenneke. Ich habe nach dir Ausschau gehalten.«
    »Nach mir?« Die Priesterin musterte ihn spöttisch. »Nicht nach Iola?«
    »Nach Iola auch«, gab er zu. »Hast du was dagegen?«
    »Im Augenblick ja. Ich will nicht, dass du ihr im Weg stehst und sie ablenkst. Sie muss sich vorbereiten und beten, wenn bei dieser Trance etwas herauskommen soll.«
    »Ich hab dir schon gesagt«, erwiderte er kühl, »dass ich keine Trance will. Ich glaube nicht, dass so eine Trance mir irgendetwas nützt.«
    »Ich hingegen« – Nenneke verzog leicht das Gesicht – »glaube nicht, dass so eine Trance dir irgendetwas schadet.«
    »Ich kann nicht hypnotisiert werden, ich bin immun dagegen. Ich habe Angst um Iola. Für ein Medium kann diese Anstrengung zu groß sein.«
    »Iola ist weder ein Medium noch eine geisteskranke Wahrsagerin. Dieses Kind erfreut sich der besonderen Gunst der Göttin. Mach bitte kein dummes Gesicht. Wie gesagt, deine Ansichten über Religion sind mir bekannt, das hat mich nie besonders gestört und wird mich gewiss auch in Zukunft nicht stören. Ich bin keine Fanatikerin. Es ist dein gutes Recht, zu glauben, dass wir von der Natur und der in ihr verborgenen Kraft beherrscht werden. Du darfst der Ansicht sein, dass die Götter, darunter meine Melitele, nur Verkörperungen dieser Kraft sind, für die Einfältigen erfunden, damit sie sie besser verstehen, damit sie ihre Existenz akzeptieren. Dir zufolge ist diese Kraft blind. Mir aber, Geralt, erlaubt der Glaube, von der Natur zu erwarten, was meine Göttin verkörpert: Ordnung, Recht, das Gute. Und Hoffnung.«
    »Ich weiß.«
    »Wenn du es weißt, wieso hast du dann etwas gegen eine Trance? Wovor hast du Angst? Dass ich dich vor einer Statue den Boden küssen und heilige Lieder singen lasse? Geralt, wir werden einfach eine Weile zusammen dasitzen, du, Iola und ich. Und sehen, ob die Fähigkeiten dieses Mädchens es erlauben, in dem Knäuel von Kräften zu lesen, das dich umgibt. Vielleicht erfahren wir etwas, was zu wissen gut wäre. Und vielleicht erfahren wir nichts. Vielleicht wollen sich die Kräfte der Vorsehung, die dich einhüllen, uns nicht offenbaren, vielleicht bleiben sie verborgen und unverständlich. Ich weiß es nicht. Aber warum sollten wir es nicht versuchen?«
    »Weil es keinen Sinn hat. Mich umgibt kein Knäuel der Vorsehung. Und selbst wenn, wozu zum Teufel darin herumwühlen?«
    »Geralt, du bist krank.«
    »Verwundet, wolltest du sagen.«
    »Ich weiß, was ich sagen wollte. Etwas ist mit dir nicht in Ordnung, ich spüre das. Schließlich kannte ich dich schon, als du noch, hm, so klein warst; damals reichtest du mir bis zum Gürtel. Und jetzt fühle ich, dass du in irgendeinem verdammten Strudel kreist, ganz und gar verstrickt bist, in einer Schlinge steckst, die sich langsam zuzieht. Ich will wissen, was los ist. Ich selbst kann es nicht herausfinden, ich muss mich auf Iolas Talent stützen.«
    »Willst du nicht zu tief vordringen? Wozu diese Metaphysik? Wenn du willst, vertraue ich mich dir an. Ich vertreibe dir die Abende mit Erzählungen über die Ereignisse der letzten Jahre, eins immer seltsamer als die anderen. Besorg ein Fässchen Bier, damit mir die Kehle nicht austrocknet, und wir können meinetwegen gleich heute anfangen. Ich fürchte nur, ich werde dich langweilen, denn da sind keine Schlingen oder Knäuel zu finden. Nur so gewöhnliche Hexergeschichten.«
    »Ich will dir gern zuhören. Aber nochmals, eine Trance würde nicht schaden.«
    »Meinst du nicht« – er lächelte –, »dass mein Unglaube an den Sinn solch einer Trance ihren Zweck von vornherein zunichtemachen würde?«
    »Nein, das meine ich nicht. Und weißt du, warum?«
    »Nein.«
    Nenneke neigte den Kopf, blickte ihm in die Augen, ein seltsames Lächeln auf den bleichen Lippen. »Weil das der erste mir bekannte Beweis dafür wäre, dass Unglaube irgendetwas bewirken kann.«
     

Ein Körnchen Wahrheit
I
    Die schwarzen Pünktchen vor dem hellen, von Nebelstreifen gezeichneten Himmel bewegten sich und erregten die Aufmerksamkeit

Weitere Kostenlose Bücher