Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
Vom Netzwerk:
war.
    »Warum überrascht mich das nicht?« Bruun setzte sich in einen ochsenblutroten Chesterfield-Sessel und deutete mit einer einladenden Bewegung auf einen ähnlichen Koloss von Stuhl. »Sie wühlen alten Bodensatz auf, dabei kommt selten was Gutes raus. Aber wenn mir jemand bei meiner Pensionierung gesagt hätte, dass eines Tages ein Polizist auf meiner Schwelle stehen wird, hätte ich sofort schwören können, dass der mir eine Frage zu Solveig Elvenes stellen würde.«
    »Ist das die mit dem Fahrradunfall?«
    Bruun bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Mein Status als Rentner entbindet mich nicht von meiner Schweigepflicht. Die währt ein Leben lang, nur dass wir uns da recht verstehen. Aber für einen Mann mit einer gesunden Skepsis gegenüber bestimmten Zufällen, die über Leben und Tod entscheiden, gab es da schon Grund zum Aufmerken. Das ging Ihnen fünfundzwanzig Jahre später ja nicht anders.«
    »Sie wollen darauf hinaus, dass sie zwei Wochen vor ihrem Entbindungstermin noch Fahrrad fuhr, oder?«
    »Das auch, aber nicht nur. Ich werde nie aufhören, mich über das starke Geschlecht zu wundern, und das sind in meinen Augen die Frauen. Ich kann mich noch an eine erinnern, die stand auf dem Kartoffelfeld, als ihr das Fruchtwasser abging. So eine Person hat einfach die Ruhe weg.«
    Oder sie war ungewöhnlich verrückt nach Kartoffeln, dachte Rino, sprach es aber nicht aus.
    »Nein, der Fahrradausflug an sich brachte mich nicht ins Grübeln, doch sowohl die Schwere als auch die Art ihrer Verletzungen ließen meinen Kollegen und mich stutzen.« Bruun hob eine Tasse zum Mund und nippte vorsichtig. Tee, schätzte Rino. »Sie hatte einen ziemlich tiefen Schnitt mitten auf dem Kopf. Es wurde niemals eine Obduktion durchgeführt, dazu gab es keinen Grund. Ich kann nur sagen, dass sie sich einen oder mehrere Brüche am Schädel zugezogen hat.« Der pensionierte Arzt starrte nachdenklich ins Kaminfeuer. »Sie muss direkt gegen die Felswand gefahren sein.« Er sah seinem Besucher in die Augen. »Ohne den Sturz irgendwie mit den Armen abzufangen«, fügte er hinzu.
    Rino spürte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog. »Sie sagen also, dass der Unfall auf eine andere Art abgelaufen sein könnte, als es schien?«
    Torkil Bruun atmete tief durch. »In späteren Jahren hat mich der Gedanke in regelmäßigen Abständen gestreift, besonders als offenbar wurde, dass der Pflegevater für seine Rolle so gar nicht geeignet war. Eine traurige Geschichte mit einem traurigen Ausgangspunkt. Mehr will ich nicht andeuten.«
    »Und der eigentliche Vater?«
    Bruun runzelte die sorgfältig gebürsteten Augenbrauen. »Ein gut gehütetes Geheimnis, wenn ich das damals richtig verstanden habe. Aber er hatte wohl nicht denselben Vater wie seine Schwester, beziehungsweise seine Halbschwester.«
    »Seine Schwester?«
    »Die ist schon lange weggezogen. Solveig Elvenes ist sehr jung Mutter geworden, wissen Sie.« Bruun stand mit der Geschmeidigkeit einer Katze auf und trat an ein Sprossenfenster, das vom Boden bis zur Decke ging. »Ein Psychiater könnte sicher eine Verbindung von den Kindheitstraumata bis zu den Verbrechen ziehen, derer Even heute verdächtigt wird. Aber es ist zwecklos, darin zu wühlen. Ich habe schon mehr angedeutet, als ich sollte, aber vergessen Sie nicht, dass ich tatsächlich nur vage Andeutungen gemacht habe. Denn es hätte ja wirklich sein können, dass ihr auf einmal schlecht geworden und sie direkt gegen den Felsen gefahren ist. Und Herlofsen, mein Kollege, der sie bei der Einlieferung untersuchte, und der deswegen am ehesten berufen wäre, irgendetwas anzudeuten, ist vor ein paar Jahren gestorben. Ich habe damals auf der Entbindungsstation gearbeitet, ich habe Kinder auf die Welt geholt. Leider war die Belastung zu stark für sie, und sie starb nur Stunden nach der Geburt.«
    »Ich frage das, weil ich es nicht besser weiß: Muss ich das so verstehen, dass sie hätte überleben können, wenn sie nicht schwanger gewesen wäre?«
    »Sie müssen sich wirklich nicht ausweisen, nur ein Polizist kann so viel nachbohren und fragen und bekommt nie genug.« Auf seinem sonnengebräunten Gesicht zeigte sich ein Zug von Distanz. »Um Ihre Frage zu beantworten: Wir werden es nie erfahren. Aber eine Geburt ist eine große Belastung für den Körper, ob man nun im Koma liegt oder nicht. Vielleicht war es so, vielleicht nicht. Sicher ist nur, dass Solveig Elvenes gestorben ist und dass ihr Tod letztlich doch noch etwas Gutes

Weitere Kostenlose Bücher