Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
ich vermuten). Im Laufe ihres erfüllten Lebens voller Aktivitäten war sie kaum jemals einen Tag krank gewesen. Es kam daher für sie etwas unerwartet, als man bei ihr, nach heftigen, anfallartigen Leibschmerzen, Gallensteine diagnostizierte und ihr riet, sich die Gallenblase entfernen zu lassen.
Drei Tage vor der Operation wurde sie im Krankenhaus aufgenommen, und man gab ihr ein Antibiotikum, um einer bakteriellen Infektion vorzubeugen. Das war reine Routine, eine Vorsorgemaßnahme, und man rechnete mit keinerlei Komplikationen. Christina wußte das und hatte keine große Angst.
Am Tag vor der Operation hatte Christina einen beunruhigenden, merkwürdig intensiven Traum, in dem sie heftig hin und her schwankte und sehr unsicher auf den Beinen stand. Sie konnte kaum den Boden unter ihren Füßen spüren, hatte fast kein Gefühl in ihren Händen, die sich ohne ihr Zutun bewegten, und konnte nichts festhalten.
Dieser Traum beunruhigte sie so sehr («So etwas hab ich noch nie geträumt - ich kriege das einfach nicht aus meinem Kopf»), daß wir einen Psychiater hinzuzogen. «Präoperative Angstzustände», lautete seine Diagnose. «Das ist ganz normal - so etwas haben wir hier jeden Tag. »
Einige Stunden später wurde der Traum Wirklichkeit. Christina konnte sich nur sehr unsicher auf den Beinen halten, vollführte ungelenke, rudernde Bewegungen und ließ immer wieder Gegenstände fallen.
Wieder wurde der Psychiater geholt. Er machte einen verärgerten Eindruck, war aber einen Moment lang erstaunt und unsicher. «Angsthysterie», stellte er fest, und seinem Ton ließ sich entnehmen, daß damit die Sache für ihn erledigt war. «Typische Konversionssymptome - damit haben wir hier täglich zu tun. »
Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände «machten sich selbständig», und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.
Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper « gab nach». Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.
«Es ist irgend etwas Furchtbares passiert», stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. «Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos. »
Es war beklemmend, sie so reden zu hören. «Körperlos»? War sie vielleicht verrückt geworden? Aber wie ließ sich dann ihr körperlicher Zustand erklären, ihre zusammengesunkene Haltung, der Tonusverlust in allen Muskeln, die Bewegungen ihrer Hände, die sie nicht zu bemerken schien, ihr Schwanken und die Tatsache, daß ihre Hände beim Greifen ihr Ziel verfehlten? Es war, als erhalte sie keine Informationen mehr von der Peripherie, als seien die Kontrollschleifen für Muskelspannung und Bewegungen ausgefallen.
«Das ist eine seltsame Bemerkung», sagte ich zu den Assistenzärzten. «Schwer vorstellbar, was dahintersteckt. » «Aber hat der Psychiater nicht gesagt, es handle sich um eine Hysterie, Dr. Sacks?»
«Ja, das stimmt. Aber haben Sie je eine Hysterie dieser Art gesehen? Denken Sie phänomenologisch -betrachten Sie das, was Sie sehen, als ein echtes Phänomen, bei dem ihr körperlicher und ihr geistiger Zustand nicht eingebildet ist, sondern ein psychophysisches Ganzes darstellt. Gibt es irgend etwas, das den Gesamteindruck eines derart zerrütteten Körpers und Geistes erzeugt? - Ich will Sie nicht auf die Probe stellen», fügte ich hinzu. «Ich stehe wie Sie vor einem Rätsel. Noch nie ist mir so etwas unter die Augen gekommen... »
Gemeinsam dachten wir nach.
«Könnte es sich nicht um ein beidseitiges Scheitellappen Syndrom handeln?» fragte einer von ihnen.
«Es ist mehr ein ‹als ob›», antwortete ich. «Es scheint so, als ob die Scheitellappen nicht mit den normalen sensorischen Informationen versorgt werden. Lassen Sie uns einige sensorische Tests vornehmen - und auch die Funktion der Scheitellappen untersuchen. »
Das taten wir, und allmählich wurde das Bild klarer. Es schien ein sehr tiefgreifender, fast totaler Ausfall der Eigenwahrnehmung vorzuliegen, und zwar von ihren Fußspitzen bis zu ihrem Kopf. Die Scheitellappen arbeiteten normal, aber sie
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