Der Mann mit dem Fagott
die zu seinem Gut gehören, von der Morgensonne verzaubert, und in diesem Augenblick weiß Rudi Bockelmann wieder, warum er unbedingt zurückkehren wollte.
Wie schrecklich und düster auch immer diese Zeit sein mochte, es lohnte sich, mit ganzer Seele für diese - nach Rußland, Schweden und Norddeutschland - vierte Heimat seines Lebens zu kämpfen und an die Zukunft zu glauben.
Fahnenflucht?
Es ist kurz nach acht Uhr morgens, als Rudi Bockelmann durch den Torbogen tritt, der die Zufahrt des Schlosses umrahmt. Zwei Arbeiterinnen sehen ihn zuerst, rennen ins Haus, und nur Augenblicke später kommen alle angelaufen: Karl und Sophie Schindler, Hansl Voith, und auch Maria Maric, eine gute Freundin, die sich während Rudis Abwesenheit um alles gekümmert hat mit ihrem Mann. Rudi wird freundlich begrüßt, doch er spürt vom ersten Augenblick an, daß irgendetwas nicht stimmt. Vor allem Maria Maric benimmt sich fremd, fast ein wenig so, als wäre ihr Rudis Rückkehr unbehaglich.
Rudi nimmt es wahr, doch er verdrängt den Gedanken.
Im Schloß erinnert kaum noch etwas an die Abreise von vor drei Wochen. Viele Zimmer sind belegt. Man hat Leute einquartiert, die in Klagenfurt ausgebombt wurden. Eigentlich ist Rudi ganz froh darüber, so wird er weniger an die Trennung von seiner Familie erinnert. Er will ins Schlafzimmer, sich vor dem Frühstück ein bißchen frischmachen, doch Maria Maric hält ihn zurück, zieht ihn ins Herrenzimmer, schließt die Tür.
»Du hättest vielleicht besser nicht zurückkommen sollen, Rudi«, sagt sie plötzlich offen und sieht ihm dabei direkt in die Augen.
Rudi versteht nicht.
»Sie suchen dich schon«, erklärt Maria. »Eigentlich hätten sie
dich schon am Bahnhof in Willersdorf verhaften sollen. Sie haben dort auf dich gewartet. Hast du sie nicht gesehen?«
» Wen gesehen? Wieso denn verhaften ?« Rudi wird allmählich ungeduldig. Das alles ergibt für ihn immer noch keinen Sinn.
»Na, die Gestapo ! Sie suchen dich! Kaum wart ihr weg, ging das hier los mit den Gerüchten: Ihr wärt unter Mitnahme großer Mengen an Nahrungsmitteln und kriegswichtiger Güter geflohen, du wärst von deinem Amt als Bürgermeister desertiert. Und ich brauche dir ja wohl nicht zu sagen, daß auf so etwas die Todesstrafe steht!«
Rudi verschlägt es bei dem Wort einen Augenblick lang den Atem. Langsam beginnt ihm zu dämmern, daß die Gestapo-Leute, die er am Bahnhof in Willersdorf gesehen hat, seinetwegen dort gewesen waren.
Er muß sich setzen, steht dann aber gleich wieder auf, beginnt, im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Die haben überall herumgeschnüffelt«, berichtet Maria weiter. »Defätismus nennt man das, was man dir vorwirft, Wehrkraftzersetzung und Diebstahl am deutschen Volk! Man will dir einen Strick drehen und spricht von einem zweiten Fall des Bürgermeisters von Breslau. Den hat man liquidiert, weil er seine Gemeinde im Stich gelassen hat. Man will nun auch an dir ein Exempel statuieren. Eigentlich wollte man das Schloß und das Gut sofort enteignen, aber das ging nicht, weil es offiziell ja nicht nur dir, sondern auch noch deinen vier Brüdern gehört. Sogar im Radio ist dein Name gestern abend als erstes gefallen.«
Rudi schüttelt erschüttert den Kopf. Seine Gedanken drehen sich im Kreis. Von Flucht war doch niemals die Rede gewesen! Was warf man ihm da bloß vor?
Rudi geht auf und ab. Alle Müdigkeit ist plötzlich verflogen. Was soll er jetzt bloß tun?
Bestimmt hat sich seine Rückkehr schon herumgesprochen. Bestimmt sind sie schon auf dem Weg zu ihm. Es gibt nur einen Weg: er muß die Flucht nach vorn antreten, geradeausgehen, jedenfalls dieses eine Mal. Er würde jetzt sofort Landrat Guttenberg anrufen und sich zurückmelden. Guttenberg war in einer führenden bürokratischen Stelle der Gauleitung tätig.
Er geht nach unten, meldet die Verbindung an. Minuten später
klingelt der Apparat, und der Landrat ist selbst am Telefon. Rudi versucht ruhig zu erklären, daß man nur die Familie in Barendorf besucht habe, daß man eigentlich habe zurückkommen wollen, daß dann aber der Kleinste krank geworden sei, und man habe deshalb den Entschluß gefaßt, daß Rudi zunächst allein zurückkehren würde, um die Gemeinde nicht zu lange allein zu lassen. Käthe und die Kinder würden dann nachkommen, sobald Manfred gesund sei, sofern die Reiseverhältnisse dies zuließen. Die Geschichte war für alle Fälle so mit Käthe abgesprochen.
Landrat Guttenberg tat verständnisvoll, aber es
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