Der Mann mit dem Fagott
Sondermeldungen. Bestimmt hören einige der Wärter Nachrichten. Natürlich kann Rudi die Meldungen nicht verstehen, hört nur die gebrüllte Rede eines Naziführers. Sie mischt sich seltsam mit den Geräuschen aus den Zellen und dem unter den Schlägen stöhnenden Mann unter ihm.
Durch den Gang herannahende Schritte. Der Wärter kommt zurück, schließt die Gittertür auf, tritt ein. »Gesicht an die Wand, aber schnell«, brüllt er ihn ohne Vorwarnung an. Rudi gehorcht,
dreht sich um. Kalter Schweiß auf seiner Stirn. Wird er jetzt auch geschlagen? Oder nur durchsucht?
Der Stuhl in der Ecke scharrt, der Beamte setzt sich offenbar. Dann soll er durch diese Haltung also nur gedemütigt werden? Seine Selbstachtung werden sie nicht brechen, schwört er sich.
»Name?« Die Stimme des Wärters ist ein wenig hoch und weichlich, hörbar um Härte bemüht.
»Bockelmann.«
»Vorname?«
»Rudolf.«
»Wohnort?«
»Schloß Ottmanach, Gemeinde Pischeldorf.«
»Geburtsdatum?«
»14. Dezember 1904.«
»Geburtsort?«
»Moskau.«
Der Beamte hält inne. »Ostarbeiter, wie?«
Rudi schüttelt den Kopf. »Nein, mit Verlaub, Besitzer von Schloß Ottmanach.«
»Oh!« Es klingt überrascht und sogar ein bißchen beeindruckt.
»Wie hat es Sie denn in dieses gastliche Haus hier verschlagen?« Plötzlich wird er wieder gesiezt. Besitz scheint den Menschen auch in Zeiten wie diesen immer noch zu imponieren. Rudi erzählt kurz seine Geschichte, dann wird er doch noch durchsucht. Gürtel, Brieftasche, Uhr, Hut und Handschuhe werden ihm abgenommen. »Die brauchen Sie hier nicht.«
»Den Mantel können Sie ruhig behalten. Den können Sie in der Zelle gut gebrauchen.«
Dann macht man sich auf den Weg durch scheinbar endlose Gänge, Treppen und viele Gittertüren zum Zellentrakt für die Gestapo-Häftlinge. Der Beamte hält vor einer der Zellen, öffnet das Guckloch und ruft nach drinnen: »Wieviel Mann?«
»Neun!«
Der Beamte geht mit Rudi weiter. An einer anderen Tür dasselbe Spiel. Zelle Nummer 62.
»Wieviel Mann?«
»Sieben!«
»Also los, hier rein!« Der Wärter sperrt die Tür auf, schiebt
Rudi nach vorn. Ein betäubender Gestank schlägt ihm entgegen, und Rudi spürt, wie ihm die Knie weich werden.
»Aber das geht doch nicht«, protestiert ein Reichsdeutscher mit grober Stimme von drinnen. »Wir haben doch keinen Strohsack und keine Decke mehr.«
»Ach was, Scheiße«, antwortet der Wärter. »Irgendwie wird es schon gehen« Er stößt Rudi in die Zelle, schließt die Tür hinter ihm zu, schiebt den Sicherheitsriegel vor, ein Geräusch, das ihm bis ins Mark dringt.
Der Raum wird von einer kleinen Funzel beleuchtet. Es ist noch viel enger, als er es erwartet hatte. Vielleicht vier auf drei Meter. An der rechten Wand eine schmale, enge Holzbank, auf der zwei Häftlinge hocken. Davor ein schmaler Tisch. Auf der anderen Seite drei Pritschen mit Strohsäcken, schmutzigen Leintüchern und Decken, daneben ein Strohsack auf dem Boden. Ein enges Fenster, mit Verdunkelungspapier verklebt. Und links von Rudi der bewußte Eimer, aus dem ein unbeschreiblicher Gestank dringt. Die Wände sind vollgekritzelt mit seltsamen Botschaften, pornographischen Darstellungen, Strichmännchen - und einer fast kunstvoll ausgestalteten Zeichnung: irgend jemand hat ein kleines Bauernhaus am Waldesrand mit Blick auf eine Bergkette gezeichnet. Sehnsucht nach einem kleinen Zuhause, nach Freiheit und Frieden. Es könnte einer der Höfe aus der Nachbarschaft des Schlosses sein, und sofort droht das Heimweh nach Ottmanach, nach seiner Familie Rudi zu überwältigen.
Auf den Pritschen, der Bank und dem Tisch haben sich sieben Männer irgendwie Platz gesucht. Für Rudi bleibt nur noch der einzige freie Fleck der Zelle zwischen der Tür und dem Eimer. Er hat keine Wahl, als sich auf den blanken Boden zu legen. Seine zusammengerollte Jacke dient ihm als Kopfkissen, sein Mantel als Decke.
»Hast du Zigaretten?« fragt ihn jemand.
»Nein, ich rauche nicht«, antwortet Rudi bedauernd.
»Mann, so ein Mist! Da hat man mal Gelegenheit, wieder was zu rauchen zu bekommen, und wieder fürn Arsch.«
»Was macht denn die Front?« Wenigstens über die aktuelle Kriegslage, soweit Rudi selbst sie kennt, kann er berichten. Dann geht plötzlich das Licht aus.
»Scheiße!« Einer der Insassen wäre wohl beinahe über einen anderen
gestolpert. Abendessen gibt es irgendwann am Nachmittag, so gegen halb vier, erklärt man ihm. Heute wird Rudi also mit leerem Magen
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