Der Mann schlaeft
Partner mir hauptsächlich intellektuelles Vergnügen bereiten müsse. Eine abstrakte Idee, die im völligen Widerspruch zu den halbherzigen Versuchen stand, die ich in der Vergangenheit hinsichtlich einer Paarbildung unternommen hatte. Ich hatte in Außenwahrnehmungen, Größen und Berufsangaben und Haarfarben gedacht und vergessen, dass ich noch nicht einmal einem biologischen Raster folgen musste, denn für eine Spätgeburt war es zu spät.
Nach einer kurzen Zeit des absurden Alleinseins, in meiner kalten, blutbespuckten Wohnung, war mir klar, dass ich nicht zurückkonnte. Nicht zurück in das, was mir vertraut war. Ich hätte noch ein paar Wochen alleine durch mein altes Leben streichen können oder mich in ein neues begeben.
Dass der Mann eindeutig am besseren Ort wohnte, stand außer Frage, und auch, dass wir zusammen sein wollten, nicht an Wochenenden und am Telefon, sondern wenn man Angst hatte, in der Nacht, und wenn man hungrig war, vierundzwanzig Stunden, weil die Zeit verschwand, in Ritzen zwischen den Dielen, und nicht mehr viel davon da war.
Da gab es keine Angst in mir, keine Fragen, ob er oder ich einen Schritt zurück machen könnten, und ohne einen weiterführenden Gedanken hatte ich meine Wohnung untervermietet, war Zug gefahren, hatte meine Kosmetikprodukte in sein Bad gestellt, mein Nachthemd in sein Bett gelegt und beabsichtigte mit Nachdruck, mein Leben wie gewohnt fortzusetzen.
Ich wollte mich nicht auf einen neuen Menschen einstellen, mich nicht an ihn gewöhnen, an den neuen Ort, enttäuscht werden, verlassen, zurückmüssen in meine Stadt, die ich dann nicht wiedererkennen würde, nach Rollstuhlrampen suchend.
Ich wollte etwas anderes als das, was ich kannte, doch das sollte ohne Veränderungen eintreten, denn ich hing an meinen Gewohnheiten, sie waren die einzigen Freunde, die immer bei mir geblieben waren. Meine Vorliebe für bekannte Strukturen resultierte vermutlich einzig aus meinem Östrogenspiegel und nicht aus einer Kauzigkeit, die ich mir zuweilen zuschrieb.
Nie hatte ich Entdecker oder ein weltweit operierender Handlungsreisender sein wollen. Was ich von anderen Orten gesehen hatte, reichte mir für den Rest meines Lebens. Ausflüge in fremde Regionen endeten für mich immer damit, dass ich in Cafés saß und Eingeborene bei Verrichtungen beobachtete.
Da außer ein paar hochexotischen Bergvölkern die Menschen überall von den gleichen Beweggründen angetrieben werden, gibt es auch kaum mehr Unterschiede in Bekleidung und Gewohnheiten zu beobachten, und ich konnte mir anstrengende Fernreisen ersparen.
Und nun saß ich, die ich es stets vermieden hatte, allzu drastische neue Erfahrungen zu machen, in einem fremden Land, einem unbekannten Haus, mit einem Menschen, den ich kürzere Zeit kannte als meinen Briefträger.
Die Situation, in der ich mich damals bei dem Versuch, ein neues Leben zu entwerfen, befand, war mir ausnehmend fremd. Ein älteres Paar, das tat, als bestünde es aus jungen, verliebten Menschen, und sich das Schauspiel nicht ganz glaubte.
In den folgenden ersten Wochen meines neuen Lebens verhielt ich mich auf eine Weise abstoßend, die mich befremdete. Völlig entgegen den Erfahrungen, die ich bis zu jenem Zeitpunktmit mir gemacht hatte, war ich plötzlich aufbrausend und unbeherrscht, keine Person, auf die ich begeistert zugelaufen wäre, um sie kennenzulernen.
So warf ich die Nachttischlampe nach dem Mann, wenn er morgens zu munter war und mit mir reden wollte, ich schrie ihn an, wenn er im Stehen aß, ich wurde schweigsam und mein Mund spitz und böse, wenn er Musik auflegte, die ich verachtete. All diese Albernheiten, die wir uns zu Gesetzen gemacht haben, unsere fixen Seh- und Hör- und Geschmackspräferenzen, die nur dazu dienen, etwas zu definieren, das undefiniert genauso sinnlos wäre. Wir bauen uns Gehhilfen und versuchen, mit ihnen zu schwimmen. Anhand dubioser Listen versuchen wir per Ausschlussverfahren unser Rudel zu erkennen, in einer Zeit, da es keine natürlich gewachsenen Gruppen mehr gibt.
Also saßen die Menschen zusammen mit ihren Vorlieben und lauschten Brasilplatten, übten Sportarten aus oder fanden Spaß mit Gleichgesinnten, die einander als Haustiere hielten. Glücklich wurden sie selten, denn was ihnen ein Wohlgefühl bereitete, war nichts, was man intellektuell erklären konnte. Gerüche oder die Ausstrahlung eines Körpers waren geeignetere Indizien für Verträglichkeit, jedoch unklarer zu benennen. Ich wusste das und konnte
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