Der Marktmacher
zwei Tennisplätze und ein Swimmingpool inmitten einer Grünfläche. Wahrscheinlich ein Privatklub.
Das Mädchen kam mit den Getränken zurück. Die Caipirinha erwies sich als kräftiger Rum in Limonensaft. Das schwere Aroma des Rums, die Säure des Limonensaftes, die Kälte des Eises und der Kick des Alkohols ergaben e i ne köstliche Mischung.
Lächelnd beobachtete Luís mich. »Na, wie schmeckt er Ihnen?«
»Er schmeichelt dem Gaumen.«
»Vorsicht«, sagte Isabel. »Die Caipirinha ist gefährlich.«
Luís lachte leise.
»Danach dürfte London schwer zu ertragen sein«, sagte ich zu Isabel und blickte vielsagend auf die Bucht hinaus.
Sie lachte. »Wohl wahr. Als Brasilianerin braucht man eine gehörige Portion Tapferkeit, um durch einen Londoner Winter zu kommen.«
»Isabel hat mir berichtet, daß Sie bei Dekker Ward mit ihr zusammenarbeiten«, meinte Luís .
»Was man in meinem Fall so Zusammenarbeit nennen kann. Meine Erfahrung im Bankgeschäft erstreckt sich über kaum mehr als eine Woche. Aber Sie sind selbst Banker, wie ich gehört habe?«
»Ja. Ich komme aus einer Familie von Großgrundbesitzern im Bundesstaat São Paulo. Im Laufe der Generationen hat sie eigentlich nur eine Fähigkeit unter Beweis g e stellt: aus einem großen Vermögen ein kleineres zu machen. I n sofern bin ich wohl irgendwie aus der Art geschlagen.« Er warf Isabel einen Blick zu. »Und nun sieht es ganz danach aus, als ob uns das Bankgeschäft ins Blut übergegangen sei.«
Isabel wurde rot. »Es macht mir Spaß, Papai, hörst du? Ich habe eine gute Stellung, und ich mache meine Sache gut.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Luís mit einer winzigen Spur von Herablassung in der Stimme. Isabel bemerkte e s u nd runzelte die Stirn. »Isabel hat mir erzählt, daß Sie vorher Russisch gelehrt haben?«
»Ja. An der School of Russian Studies in London.«
»Wunderbar. Wie gern würde ich diese Sprache beherrschen. Ich habe viele russische Romane gelesen, all die großen, aber ich stelle es mir einfach herrlich vor, sie im Original kennenzulernen.«
»Das ist es«, sagte ich. »Die russische Prosa ist faszinierend. Sie klingt schon fast wie Lyrik. Die Klangwirku n gen, Resonanzen, Nuancen, die Autoren wie Tolstoi und Dostojewski hervorrufen können, sind überwältigend und a u ßerordentlich schön.«
»Und wer ist Ihr Lieblingsautor?«
»Oh, eindeutig Puschkin, aus den genannten Gründen. Er leistet Dinge mit der Sprache, die vor ihm noch niemand vermocht hat. Und er ist ein Vollbluterzähler.«
»Ich denke oft, daß Brasilien ein bißchen wie Rußland ist«, sagte Luís .
»Tatsächlich?«
»Ja. Beide Länder sind riesig. Beide Völker scheinen ganz in der Gegenwart zu leben. In beiden ist Armut und Korruption an der Tagesordnung, beide verfügen aber auch über große Möglichkeiten, deren Verwirklichung j e doch immer wieder scheitert. Wissen Sie, daß man von Brasilien sagt, es sei das Land der Zukunft und werde es immer bleiben? « E r lächelte. »Aber wir geben nicht auf. Wir tri n ken, tanzen, amüsieren uns, und morgen sterben wir vie l leicht.«
Ich dachte über seine Worte nach. Sie beschrieben exakt jene eigenartige Mischung aus überschäumender Leben s freude und Melancholie, die mich von Beginn an an der russischen Literatur so fasziniert hatte. »Vielleicht haben Sie recht. Leider kenne ich Brasilien zuwenig. Ich nehme an, das Klima ist besser.«
Luís lachte. »Richtig. Es läßt einen das Leben leichter genießen.«
»Ein faszinierendes Land. Ich würde gern mehr darüber in Erfahrung bringen.«
Luís nahm meinen Arm. »Kennen Sie Tolstois Novelle Herr und Knecht ! «
Ich lächelte. »Es ist noch keine drei Wochen her, daß ich über sie ein Seminar abgehalten habe.«
»Sie scheint wie für Brasilien geschrieben.«
»Was ist das für eine Geschichte, Papai?« wollte Isabel wissen.
»Erzählen Sie sie«, meinte Luís zu mir.
»Ein Kaufmann und sein Knecht verirren sich in einem Schneesturm. Der Kaufmann reitet, um sich in Sicherheit zu bringen, mit dem einzigen Pferd davon, während der Knecht laufen muß. Nach einiger Zeit wird der Kaufmann vom Pferd abgeworfen. Während er sich durch den Schnee schleppt, denkt er über die Nutzlosigkeit seines Lebens nach, das er allein und in Selbstsucht verbracht hat. Daraufhin kehrt er um und findet den Knecht erfrierend im Schnee liegen. Der Kaufmann umarmt den Knecht, hüllt ihn ein wie eine Decke. Am Morgen, als der Sturm sich gelegt hat, werden die beiden
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