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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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unterbinden können, aber vermutlich zu feige dazu war, doch ich überlegte es mir anders. Es hatte keinen Zweck, den Regenten noch mehr zu reizen. Ich sagte deshalb: »Kennt Ihr die Unart mit den Wolf-Rufen und dem Wolfszettel hier im Nachhilferaum?«
    »Was hat das mit der Zecherei in Jungius’ Raum zu tun?«
    »Zunächst einmal nichts, Herr Professor. Würdet Ihr mir die Frage dennoch beantworten?«
    »Meinetwegen, ja.« Der Trommelwirbel erstarb. »Natürlich sagt mir dieses unselige Gebaren der Schüler etwas. Ich habe es immer ›Wolfsgeheul‹ genannt und es vor zwei oder drei Jahren abgeschafft. In meiner Burse gibt es so etwas nicht mehr.«
    »Leider doch, Herr Professor.« Ich erzählte Gansdorff, was in meiner Nachhilfestunde geschehen war und dass ich Engelhuss’ Wolfszettel selbst in den Händen gehalten hatte. Auch die Rute mit den Blutspuren erwähnte ich. Ich schloss: »Ihr mögt es für falsch halten, Herr Professor, aber ich wollte den Vorfall nicht an die große Glocke hängen. Mir widerstrebt jegliche Art von Denunziation. Deshalb bin ich gestern Abend auch nicht zu Euch gelaufen, um die Baccalarii anzuschwärzen.«
    »Ich wiederhole: Ihr hättet die Entgleisung verhindern müssen!«
    »Ihr habt recht, ich sehe es ein.« Ich gab mich zerknirscht. »Allerdings habe ich etwas anderes gemacht, Herr Professor. Ich habe Engelhuss unmissverständlich aufgefordert, seine zweifelhaften Unterrichtspraktiken zu ändern. Doch er zeigte wenig Einsicht.«
    »Soso.« Gansdorff schwieg. Man konnte förmlich sehen, wie er Engelhuss im Geiste zur Rechenschaft zog. »Nun ja. Kommen wir zur zweiten Frage, Nufer. Die Spatzen pfeifen es vom Dach, dass Engelhuss Euch das Werk
Trotula major
gestohlen haben soll. Könnt Ihr Euch erklären, warum er überall als Dieb bezeichnet wird?«
    »Dafür habe ich keine Erklärung. Ich war es jedenfalls nicht, der ihn des Diebstahls bezichtigt hat. Ich habe nur erzählt, dass mir das Buch abhandengekommen ist. Das kann ich beschwören.«
    »Und wie kommt es, dass alle Welt ihn als Schuldigen ansieht?«
    Ich zögerte. »Vielleicht, weil unser, äh, gespanntes Verhältnis in der ganzen Burse bekannt ist?«
    »Hm, daran könnte etwas sein.« Gansdorff schob die Finger beider Hände ineinander und ließ die Daumen kreisen. »Ein solcher Diebstahl ist keine Kleinigkeit. Sollte sich herausstellen, dass Engelhuss der Täter ist, würde das weitreichende Konsequenzen für ihn haben. Das Aberkennen seines Grades wäre nur ein Teil dessen, was ihn erwartete.«
    Noch während Gansdorff diese Drohung aussprach, war mir ein Einfall gekommen. »Habt Ihr schon in Erwägung gezogen, dass es vielleicht gar kein Diebstahl war, Herr Professor?«, fragte ich.
    »Kein Diebstahl?« Das Kreisen der Daumen hörte auf. »Wie meint Ihr das?«
    »Ich möchte niemanden der Tat beschuldigen, wenn ich keine Beweise in der Hand habe«, sagte ich. »Vielleicht hat sich jemand das Werk ja einfach nur – ausgeliehen?«
    Das Kreisen der Daumen setzte wieder ein. Diesmal in die andere Richtung. Gansdorff schien schwer in Gedanken. »Ausgeliehen, ausgeliehen … hm.« Er blickte auf, ein Lächeln stahl sich in seine Mundwinkel. »Je länger ich darüber nachdenke, desto richtiger erscheint mir Euer Gedanke. Ja, da hat sich jemand das Werk nur ausgeliehen!«
    »Ganz recht, Herr Professor.«
    »Nun, mein lieber Nufer« – Gansdorff erhob sich recht schwungvoll, trotz seiner Fülle – »unser Gespräch hatte neben dem unerfreulichen auch einen erfreulichen Teil.«
    »Herr Professor?«
    »Ihr seid nach wie vor meiner Sympathie wert.«
     
    Professor Justus Rating de Berka ging in seiner gewohnten Art vor uns auf und ab und dozierte: »Als wichtigste Erkenntnis des Hipppokrates gilt die Viersäftelehre, meine Herren Studiosi. Ihr wollen wir uns heute zuwenden. Oder besser: ihr und der Entwicklung, die sie bis zum heutigen Tag nahm. Nun, im
Corpus Hippocraticum …
ach, nebenbei: Weiß jemand, was wir darunter zu verstehen haben?«
    »Eine Sammlung von medizinischen Texten«, kam die Antwort aus der ersten Reihe. Wahrscheinlich war es Rochus Säckler, der Eifrige, der sie gegeben hatte.
    »Richtig, wobei wir hinzufügen müssen, dass die wenigsten der Texte von Hippokrates selbst stammen. Er war nur der Namensgeber für die Sammlung. Wahrscheinlich, weil er den wichtigsten Beitrag mit seiner Beschreibung der Viersäftelehre leistete. Ihr Wesensinhalt sind, wie der Name schon sagt, die vier beherrschenden Säfte

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