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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ausgezeichnet. Ach, hatte ich noch nicht erwähnt, dass Engelhuss sein Wirken an der Hierana beenden will? Er ist von Hause aus begütert, wie er andeutete, und möchte sich fortan privaten Forschungen widmen. Bitte erinnert mich daran, dass ich es den anderen Bursariern nachher noch sage.«
    »Jawohl, Herr Professor«, versprach ich. »Ihr habt recht, die Pastete ist wirklich sehr delikat.«
     
    Am Sonntag nach dem Kirchgang und dem sich anschließenden Mittagsmahl saß ich in meiner Kammer vor einem leeren Stück Pergament. Auch an diesem Tag fand ich die rechten Worte nicht, die Odilie meiner Liebe und meiner Treue versichern sollten. Schon zweimal hatte ich die Anrede und den ersten Satz weggekratzt, ein drittes Mal würde dies nicht mehr gehen. Ich musste mich zusammenreißen. Pergament war ein teurer Schreibgrund, weil jedes einzelne Blatt aus Tierhaut gewonnen werden musste. Der Vorgang war langwierig und aufwendig. Zunächst wurde die Haut für mehrere Tage in eine Kalklösung gelegt, damit Haare, Hautstückchen und Fleischreste besser abgeschabt werden konnten. Danach wurde sie gespült, gereinigt, auf einen Rahmen gespannt und getrocknet. Die Oberfläche wurde mit Bimsstein geglättet und mit Kreide geweißt. Die Güte des Ergebnisses hing nicht zuletzt von dem Tier ab, das sein Leben für die Herstellung hatte geben müssen. Mein Pergament stammte von einer neugeborenen Ziege und war entsprechend teuer gewesen. Doch einen Brief auf schlichtem Papier zu schreiben, hätte ich bei meiner Prinzessin nicht für angemessen gehalten.
    Es klopfte. Luther steckte den Kopf durch die Tür und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm und Schnapp eine Runde um das Collegium Maius zu machen. Ich seufzte und schüttelte den Kopf: »Geh du nur, ich kann nicht. Ich muss diesen Brief noch fertigschreiben.«
    Luther grinste. »Wie es aussieht, hast du ihn noch nicht einmal angefangen.«
    »Ich finde die richtigen Worte nicht.«
    Luthers Grinsen wurde breiter. »Dann muss es dich ziemlich erwischt haben.«
    »Ja«, sagte ich und überlegte, ob ich ihm von meiner Liebe zu Odilie erzählen sollte. Aber ich tat es nicht. Unsere Gefühle füreinander gingen nur uns beide etwas an.
    »Wenn dir die Worte fehlen, sag es anders.« Luther war eingetreten, hatte Schnapp das Halsband umgelegt und schickte sich an, meine Kammer zu verlassen.
    »Warte!«, rief ich. »Wie meinst du das?«
    Luther hielt inne. »Wie ich es sage. Es gibt mehr Möglichkeiten als bloße Buchstaben.« Sprach’s, grüßte und verschwand mit meinem Hund.
    Er ließ mich grübelnd zurück. Was außer Worten konnte meine Liebe ausdrücken? Dann wusste ich es. Ich war so froh über meinen Einfall, dass ich beim Aufspringen fast den Tisch umgerissen hätte. Ich lief hinunter in den Hof zum großen Einlasstor. Eine uralte Kletterrose rankte sich links und rechts des Eingangs empor. Ohne mich um die neugierigen Blicke des Postens zu scheren, wählte ich mit großer Sorgfalt die schönste Rose aus, brach sie mit einiger Mühe ab und eilte zurück in meine Kammer. Ich setzte mich, spitzte die Feder erneut, tauchte sie in die Eisengallustinte und schrieb mit großen Lettern:
    M eine Prinzessin,
    I ch lebe  …
    Dann befestigte ich den Stengel der roten Rose zwischen dem »l« und dem »e«, so dass man mit einiger Phantasie statt »lebe« auch »liebe« lesen konnte. Zufrieden mit meinem Werk lehnte ich mich zurück. Wenn Odilie den Brief erhielt, würde sie wissen, dass die Zeilen von mir waren.
    Von mir? Ich stutzte. Wie konnte Odilie sicher sein, dass ich der Verfasser des Briefes war? Sie kannte meine Handschrift nicht. Jeder heimliche Verehrer bei Hofe hätte das Schreiben aufsetzen können. Die Frage war, wie sie mich als Absender erkennen konnte, ohne dass ich meinen Namen unter die Zeilen setzte.
    Lange überlegte ich. Schließlich griff ich wieder zur Feder und schrieb:
    Diese Rose wurde mit drei Fingern gepflückt …
    Ich war sicher, Odilie kannte nur einen Mann, dem an der rechten Hand zwei Finger fehlten. Ich hatte ihr Bild vor Augen, sah im Geiste ihr Gesicht, sah, wie sie sich über meinen Liebesbeweis freute, während ich den Brief versiegelte, verpackte und an sie adressierte. Er hatte einen weiten Weg vor sich, aber ich hoffte inständig, er würde ankommen.
    »Das haben wir gut gemacht, mein Großer«, murmelte ich abschließend und musste dabei feststellen, dass Schnapp noch mit Luther fort war. Ich ging mit dem Brief hinunter zu Kaspar, dem Torposten,

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