Der Medicus von Heidelberg
damit dieser ihn gegen ein Entgelt auf den Weg bringe. »In welche Richtung ist Luther gegangen?«, fragte ich ihn.
Er antwortete: »Luther ist schon zurück.«
»Schon zurück? Mit Hund?«
»Ja, mit Eurem Schnapp.«
Kopfschüttelnd ging ich wieder ins Wohnhaus. Vielleicht hatte ich Luther verpasst? Ich schaute in meine Kammer, aber da war er nicht. Immer noch kopfschüttelnd, steuerte ich seine Kammer an. Ich pochte an die Tür, bekam aber keine Antwort. Nur ein Winseln drang von der anderen Seite zu mir herüber. Das war Schnapp, kein Zweifel. Ich stieß die Tür auf und wurde von ihm fast umgeworfen, so sehr freute er sich über unser Wiedersehen. Luther hingegen schien sich nicht zu freuen. Er lag auf seinem harten Lager und stierte gegen die Decke.
»Hier bist du also, ich hatte schon nach dir Ausschau gehalten«, sagte ich.
Luther sagte nichts.
»Hast du irgendetwas?«
Keine Antwort.
»Hör mal, wenn ich dir helfen kann, nur frei heraus mit der Sprache.«
Luther schwieg. Er schluckte schwer und starrte weiter gegen die Decke.
»Hast du während des Spaziergangs etwas Unangenehmes erlebt? Oder habe ich dir etwas getan? Wenn es so sein sollte, tut es mir leid.«
Es war, als redete ich gegen eine Wand. Ich gab auf. Ich nahm Schnapp beim Halsband und wollte den Raum verlassen, überlegte es mir jedoch anders. »Irgendeine Laus ist dir über die Leber gekrochen, und ich will jetzt wissen, was los ist«, sagte ich entschlossen.
»Es hat ja doch alles keinen Zweck.« Luthers Stimme war leise und klang verzweifelt. Er sprach, ohne mich anzusehen.
»Was meinst du damit?«
Wieder schwieg er. Aber nun ließ ich nicht mehr locker. Nach und nach bekam ich heraus, dass er öfter solche Trübsinnsanfälle hatte. Er glaube, sagte er unglücklich, von innen zerfressen zu werden, da er häufig unter Sodbrennen und heftigen Magenschmerzen leide.
Ich setzte mich zu ihm auf die Bettkante und versuchte, ihn aufzumuntern, indem ich sagte: »Wenn ich es richtig beobachtet habe, isst du zu viel und zu schnell. Wenn andere schon satt sind, nimmst du noch einmal nach. Du solltest leichte Kost bevorzugen, etwa Brot, Gemüse und Obst. Und auf Wein und fettes Fleisch verzichten. Wenn du dich daran hältst, wird es dir bald bessergehen.«
»Du hast gut reden. In der Burse muss ich essen, was auf den Tisch kommt.«
»Das gilt nur für die Gesunden. Niemand kann von einem Kranken verlangen, dass er alles isst.«
Luther grunzte etwas, das ich nicht verstand.
»Hast du denn jetzt Magenschmerzen?«
»Sodbrennen.«
»Sodbrennen, nun gut. Dann werde ich versuchen, dir etwas Natron zu besorgen.«
»Ich habe Natron.«
»Du hast Natron? Warum nimmst du es dann nicht?«
»Es hat ja doch alles keinen Zweck.«
»Unsinn.« Ich stand auf, ließ mir von ihm sagen, wo er das Natron verwahrte, und gab eine kleine Menge in einen Becher Wasser. »Trink das.«
Luther trank ein paar Schlucke und verzog angewidert das Gesicht. »Du willst den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.«
»Ich will dir nur helfen.«
Nach einer Weile ließ das Sodbrennen nach, doch Luthers Laune besserte sich nicht. »Es hat ja doch alles keinen Zweck«, murmelte er dumpf.
»Das sagst du schon zum dritten Mal.« Allmählich begriff ich, dass Luthers Melancholie nicht nur mit seinen körperlichen Beschwerden – also mit einem Überfluss an schwarzer Galle – zusammenhängen konnte. Irgendetwas musste ihn darüber hinaus gedanklich quälen. Ich dachte an meine schmerzliche Liebe zu Odilie und fragte aufs Geratewohl: »Hast du Kummer mit deiner Liebsten?«
»Wie kommst du denn darauf?« Luther klang fast empört. »Ich habe keine ›Liebste‹!«
»Wenn es das nicht ist, was ist es dann?«
»Es ist nichts.«
Doch ich blieb hartnäckig, und schließlich gestand mir Luther – erst zögernd, dann immer schneller redend –, dass es der Widerstreit seiner Gefühle sei, der ihm so zu schaffen mache. Er frage sich immer wieder, ob ein Jurastudium seine Erfüllung werden könne, oder ob nicht die Theologie seine wahre Bestimmung sei.
Darauf fiel mir zunächst nichts ein. Dann sagte ich: »Es ist schwer, dir einen Rat zu geben. Doch wenn Gott dich ruft, wirst du es hören.«
»Bist du dir sicher?«
Ich räusperte mich. »Um die Wahrheit zu sagen, nein.«
»Du hast es gut. Für dich war immer klar, dass du Medizin studieren würdest.«
»Das stimmt. Mach doch erst einmal im Februar deinen Magister. Danach wird sich alles fügen.«
»Wird es nicht. Was
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