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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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üblichen Teilnehmer, die bei derlei Anlässen nicht fehlen durften. Nicht zu vergessen Faustus Jungius, der Römer.
    Das Fest begann mit einer Rede auf Luther, die ich halten musste. Ich hatte mich davor zu drücken versucht, aber da alle einhellig der Meinung waren, ich solle es machen – wohl auch, um nicht selbst das Wort ergreifen zu müssen –, kam ich um die Ansprache nicht herum. Also erhob ich mich und rief: »Wie heißt es so schön bei Aristoteles? Durch seine Erscheinung gewinnt der Redner Vertrauen! Nun, mein lieber Martin, ob meine Erscheinung heute Abend bei deinen Gästen Vertrauen erweckt, steht dahin, denn ich weiß nie ganz genau, ob ich deine oder meine Kleider trage …«
    Wie erwartet, wurde ich von Gelächter unterbrochen, denn jeder kannte die Geschichte von der Verwechslung zwischen Luthers und meinem Wäschebündel, die Anlass zu manch anzüglicher Bemerkung unter den Bursariern gegeben hatte.
    »Nun gut«, fuhr ich fort, »offenbar ist es mir halbwegs gelungen, euer Wohlwollen, liebe Brüder, zu erringen. Getreu Aristoteles komme ich damit zur Schilderung des Sachverhaltes, in diesem Falle des Umstandes, dass unser allseits geschätzter Martin heute seinen Geburtstag feiert. Die Beweisführung dazu kann ich mir aus verständlichen Gründen sparen …«
    Wiederum wurde ich von Gelächter unterbrochen. Ich hob die Hand und sprach weiter, gratulierte Luther im Namen aller, ließ ihn hochleben, redete von seinen Tugenden, von seiner Bibelfestigkeit und von seiner Musikalität. Letztere Eigenschaft gab mir die Möglichkeit, meine Rede zu beenden und Luther seine Laute zu reichen, die ich – das war mein Geburtstagsgeschenk – neu hatte bespannen lassen.
    Das war das Zeichen für alle anderen, ebenfalls ihre Präsente zu überreichen, und Luther dankte ihnen sichtlich gerührt. Da er als eifriger Schreiber bekannt war, übergab man ihm einige dazu dienliche Utensilien wie Federmesser, Gallustinte, Gänsekiel, ein paar Bogen bestes Pergament und Löschsand. Am meisten schien er sich aber über seine neubespannte Laute zu freuen.
    Mit dem lustigen Lied »Es hatt ein Meidlin sein Schuh verlorn …« und einem erneuten Prosit begann der eigentliche Abend. Sein Verlauf glich in vielem der Geburtstagsfeier des Römers, nur dass diesmal das fröhliche Geschehen durch einen kurzen, recht unwissenschaftlichen Disput unterbrochen wurde, der ganz ungewollt ausbrach: nämlich aufgrund meiner arglosen Feststellung, wir wären zu siebt, sofern man Schnapp mitrechne, und Sieben sei eine Glückszahl, weshalb das Fest sicher unter einem guten Stern stünde.
    Tafelmaker, der sich vom Wirt bereits den zweiten Becher einschenken ließ, widersprach mir. »Was hat die Sieben mit Glück zu tun?«, rief er. »Die Sieben ist eine Zahl, mehr nicht, wenn auch eine sehr interessante. Wenn ich dagegen an die Null denke …«
    Ich unterbrach ihn, denn ich fürchtete, er würde wieder einen Vortrag über die Null und das Nichts halten, und auch Luther schien ähnliche Befürchtungen zu haben, denn er spielte rasch auf seiner Laute weiter. Doch als er fertig war, fing Tafelmaker wieder mit seiner Null an, und um ihn aufzuhalten, sagte Hiob Rotenhan, die Sieben sei im Gegensatz zur Null von hoher spiritueller Kraft. Das sah Luther genauso, er verwies auf die Schöpfungsgeschichte, in der Gott am siebten Tag sein Werk vollendete, weshalb die Woche sieben Tage habe, einschließlich des Sonntags, der zu Gebet und Einkehr aufrufe. Von Prüm winkte ab, die Sieben werde allenthalben überbewertet, sie habe im Werk Ovids keinerlei Bedeutung. Darüber lachte der Römer. Luther lachte nicht. Er fand die Bemerkung gottlos, was Tafelmaker veranlasste, die Zwölf ins Spiel zu bringen. »Die Zwölf, Brüder«, sagte er geheimnisvoll, während er sich den dritten Becher gönnte, »die Zwölf ist die wichtigste Zahl überhaupt. Das Jahr teilt sich in zwölf Monate, der Tag wiederum in zwölf Tag- und zwölf Nachtstunden. Und dann die zwölf Sternbilder …«
    Weiter kam er nicht, denn der Römer meinte, er denke an die Zahl Zwölf stets mit Grausen, allein schon wegen der zwölf Gesetzestafeln des römischen Rechts. Luther meinte, Jakob habe zwölf Söhne gehabt, die als Stammväter der Stämme Israels gälten, die ihrerseits sinngebend für die Anzahl der Apostel, der Sendboten unseres Herrn Jesus, gewesen seien.
    Rotenhan winkte ab, ihm standen die Tränen in den Augen. »Zwölf ist die Tücke selbst, darin steckt zwei mal

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