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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sind giftig. Oder die bekannten Roten Beten: Sie gleichen in Farbe und Erscheinung den Pestbeulen und sollen gegen den Schwarzen Tod wirken. Unsinn, sage ich!«
    De Berkas Rede war immer lebhafter und zorniger geworden, doch nun beruhigte er sich wieder. »Abschließend also, meine Herren Studiosi, ist zu sagen, dass die Uroskopie viel Erfahrung verlangt, ähnlich wie das Prüfen des Pulses oder die Beurteilung der Zungenverfärbung. Erfahrung erst macht aus einem Arzt einen guten Arzt! Wartet darum geduldig ab. Die Zeit arbeitet für Euch. Und nun genug für heute. Lernt fleißig und genießt den Tag!«
     
    Ende Februar dieses Jahres geschah es, dass Professor de Berka uns zum ersten Mal in den schmalen Raum neben dem Kleinen Hörsaal bat. Er tat recht geheimnisvoll und sagte, als wir gemeinsam mit ihm vor der Tür standen: »Ihr habt in einer Reihe von Lektionen gehört, meine Herren Studiosi, was die Theorie an medizinischem Wissen bereithält. Doch im Leben eines Arztes kommt es immer wieder vor, dass die Praxis gefordert ist. Oder anders gesagt: Was die Arzneien nicht heilen, heilt das Messer.
Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat,
wie es so schön heißt. Um jedoch mit dem Messer kunstvoll operieren zu können, muss man den menschlichen Körper von innen kennen, und zwar nicht nur auf Schaubildern.«
    Er senkte die Stimme und tat immer noch recht geheimnisvoll. »Auf dem Richtplatz am Stollberg im Nordosten der Stadt wurde gestern ein Kindesmörder gehängt. Er hatte keine Verwandten, so dass es mir gelungen ist, an den Leichnam heranzukommen, bevor er in nicht geweihter Erde bestattet wird. Der Name des Toten tut nichts zur Sache, ich weiß ihn selbst nicht. Dennoch muss ich Euch bitten, über das, was Ihr gleich sehen werdet, Stillschweigen zu bewahren. Warum? Weil es an unserer Hierana – wie an anderen Universitäten auch – nur eine begrenzte Anzahl von Leichen gibt, die den Studiosi pro Semester zur Verfügung gestellt werden, und dieser Leichnam hier, äh, außer der Reihe den Weg zu uns gefunden hat. Kann ich mich auf Euch verlassen?«
    »Jawohl, Herr Professor«, versicherten wir.
    »Gut, dann darf ich Euch Meister Karl vorstellen.« Er wies auf einen rothaarigen, grobschlächtigen Mann, der sich bis dahin abseits gehalten hatte, uns nun aber einen kurzen Gruß zunickte. »Meister Karl ist der Prosektor. Er wird so freundlich sein, den Toten für uns zu sezieren, und ich werde dabei seine Handgriffe genau erklären. Folgt mir.«
    Wir drängten uns durch die enge Tür und betraten einen Raum, der eher einem Gelass glich. An den Wänden brannten Fackeln, deren Qualm unangenehm in Nase und Augen stach. In der Mitte stand ein schwerer Tisch mit einer Marmorplatte, und auf der Marmorplatte lag der Tote. Er war nackt, bis auf einen Schurz, der sein Gemächt bedeckte. Auf einem Beistelltisch befanden sich in Griffnähe blitzende chirurgische Instrumente: Skalpelle, Sägen, Spreizer, Haken, Scheren, Nadeln, Lanzetten und mehr. Trotz der hellen Fackeln an den Wänden herrschte eine unheimliche Atmosphäre.
    De Berka hieß uns, um den Tisch herum Aufstellung zu nehmen, und sagte mit ernster Miene: »Was Euch erwartet, meine Herren Studiosi, ist kein schönes Schauspiel. Die Handlung wird blutig sein und beileibe nicht jedermanns Sache. Jetzt ist noch Zeit, es sich zu überlegen. Ich nehme es niemandem übel, wenn er lieber den Raum verlassen will.«
    Doch alle blieben. Rochus Säckler, der neben mir stand, atmete tief durch.
    Meister Karl krempelte sich die Ärmel hoch und trat an den Leichnam heran. Der Tote war ein Mann um die dreißig, von kräftiger Statur, mit langen Gliedmaßen und starker Körperbehaarung. Sein Hals wies noch Rötungen und Einblutungen der Henkersschlinge auf. Dunkle Totenflecken hatten sich auf der Haut ausgebreitet. Die Zunge hing halb aus dem Mund. Wenigstens die Augen hatte man ihm geschlossen. Dennoch bot er einen schauerlichen Anblick.
    Bevor Meister Karl begann, sagte de Berka: »Die Lehrstunde soll mehreren Zwecken dienen, meine Herren Studiosi. Ihr sollt sehen, wie eine Leiche zu öffnen und wieder zu verschließen ist, ihr sollt lernen, wo die inneren Teile des Körpers sitzen und wie sie heißen, und ihr sollt begreifen, wie die Teile zusammenhängen.«
    Meister Karl hatte unterdessen ein Schermesser zur Hand genommen und die Brustbehaarung des Toten entfernt. Nun griff er zu einem spitzen Skalpell und begann seine Arbeit, indem er einen leicht bogenförmigen Schnitt

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