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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Pestmantel von Professor de Berka.«
    »Ach ja, Ihr seid der Herr mit dem Hund. War mir nicht gleich aufgefallen.«
    Meister Karl nickte mir zu. Er kannte meine Stimme von den Vorlesungen im Sezierraum.
    »Und was ist nun mit Doktor Silvanus?«, fragte Eustach. »Ist er …?«
    »Ja«, sagte ich, »ich habe ihn untersucht. Er ist tot. Du kannst ihn mitnehmen. Aber vorher findest du vielleicht noch einen Priester, der ihm die Sterbesakramente erteilt.«
    »Versprechen kann ich’s nicht. Ich habe anderes zu tun.«
    »Das weiß ich, versuche es trotzdem.«
    Hinz sagte: »Wenn du Doktor Silvanus abholst, kannst du auf einem Weg Lauritz mitnehmen, du weißt doch, den Mann von Muhme Lenchen. Der ist auch tot. Die Muhme hat Geld, um dich zu entlohnen.«
    »Schon gut, Hinz«, brummte Eustach. »Mein Beileid. Du weißt, dass mir’s nicht aufs Geld ankommt, aber ich karre sowieso schon die Hälfte der Leichen umsonst, weil niemand da ist, der mir dafür was geben könnte, und Meister Karl kann auch nicht ständig für Gotteslohn arbeiten.«
    Während er das sagte, war mir aufgefallen, dass eine der Leichen auf dem Karren sich noch bewegte. »Dieser Mann ist noch nicht tot«, sagte ich entsetzt.
    Eustach zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich weiß, Herr, aber er ist so gut wie tot.«
    »Wohin bringst du ihn?«
    »Fort, vor die Stadt.«
    »Aber er lebt!«
    »Wenn ich ihn ins Massengrab lege, wird er tot sein.«
    Ich wurde wütend. »Woher willst du das wissen? Willst du entscheiden, wann einer zu sterben hat? Bist du Gott?«
    »Aber was soll ich denn machen?«
    »Du bringst ihn ins Hospital.«
    »In welches denn?« Eustach klang verzweifelt. »Alle Hospitäler sind voll.«
    Ich überlegte. Wahrscheinlich hatte Eustach mit seiner Behauptung recht. Das Leben des Mannes hing nur noch an einem seidenen Faden, er würde in der Tat bald sterben. Doch ich wollte nicht nachgeben. Ich dachte an den Eid des Hippokrates, dessen Inhalt mir de Berka so eindringlich vermittelt hatte. Ich hatte den Schwur zwar noch nicht geleistet, aber das hieß nicht, dass ich mich nicht an ihn gebunden fühlte. »Du bist der Totenkärrner«, sagte ich. »Du kennst dich aus in der Stadt. Ich verlasse mich darauf, dass du einen Ort findest, an dem der Mann gepflegt wird. Jeder Funke Leben, und sei er noch so schwach, ist es wert, um ihn zu kämpfen.«
    Eustach schnaubte verächtlich. Wahrscheinlich hielt er mich für einen rechthaberischen Grünschnabel, und in gewisser Weise stimmte das auch. Aber er sagte: »Ja, Herr.« Er schlang sich den Zuggurt um die Schulter, und Meister Karl an seiner Seite tat es ihm gleich. Gemeinsam zogen sie an und rumpelten an uns vorbei in Richtung Benediktsplatz.
    Hinz und ich blickten ihnen nach und gingen dann weiter. Wir hatten vielleicht hundert Schritte zurückgelegt, als eine ärmlich gekleidete Magd uns mit erhobenen Händen entgegenlief. »Verzeiht, Herr Doktor!«, rief sie in höchster Erregung. »Ihr müsst mit mir kommen, mein Ortwin, er stirbt! Er stirbt, wenn Ihr nicht helft! Bitte, oh, bitte!«
    Ich machte eine abwehrende Bewegung, doch ein neuer Wortschwall der Verzweiflung, der in dem Satz »Ich beschwöre Euch bei der Milch unserer Gottesgebärerin« gipfelte, überschüttete mich.
    Ich wollte ihr sagen, ich sei nicht der, für den sie mich hielt, ich sei kein Arzt, nur ein Studiosus, aber hätte sie mir das in ihrer Verzweiflung geglaubt? Währenddessen redete sie immer weiter, tränenüberströmt, bis ich beschloss, ihr ins Haus zu folgen, denn das erschien mir einfacher, als lahme Worte der Ablehnung zu finden. Außerdem tat sie mir leid. Ich sagte zu Hinz: »Geh du nur weiter, ich habe hier zu tun.« Dann folgte ich der Magd.
    Wir gingen durch einen schmalen Gang zum hinteren Bereich des Hauses, dorthin, wo die Kammern des Gesindes lagen. Die Magd betätigte den Vorreiber einer windschiefen Tür und ließ mich ein. Eine dunkle Kammer, eher ein Loch, tat sich vor mir auf. Auf dem Boden war Stroh ausgebreitet wie in einem Stall. Der Kranke lag darin, eingepackt in fünf oder sechs wollene Decken. Er war nicht bei Bewusstsein. Die Schnappatmung, ein sicheres Zeichen für den baldigen Tod, hatte bei ihm bereits eingesetzt. Neben dem Lager stand ein irdener Krug, aus dem es dampfte, doch ich konnte keinen Geruch wahrnehmen. Der Gestank des Todes überlagerte alles. »Was ist in dem Krug?«, fragte ich die Magd.
    »Heißes Wasser mit Ingwerscheiben«, antwortete sie und hielt mir beflissen eine handförmige

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