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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht mehr gedacht. »Du bist tatsächlich zurückgekommen«, sagte ich verblüfft.
    »Was ich verspreche, halte ich auch.« Hinz blickte mich treuherzig an. »Ich komme gerade von der Vorratskammer. Muhme Lenchen hat mir noch weitere Speisen mitgegeben, die untergebracht werden mussten. Verhungern werden wir jetzt nicht mehr.«
    Das ist meine geringste Sorge, wollte ich antworten, aber ich mochte nicht unhöflich sein. Stattdessen sagte ich: »Du kannst mir helfen, dass Bett der Köchin herbeizuschaffen. Das Mädchen kann nicht länger auf dem Boden liegen.«
    »Ja, Herr, wo steht das Bett?«
    Gemeinsam gingen wir zur Kammer der Köchin, nahmen ihre stabile Lagerstatt auseinander, trugen die Einzelteile in die Eingangshalle und bauten sie dort wieder zusammen. Hinz erwies sich dabei als sehr hilfreich. Ich war froh, dass ich ihn hatte. Wir hoben das Mädchen in das frisch gemachte Bett und deckten sie zu. »Sie ist hübsch«, sagte Hinz.
    Darauf hatte ich noch nicht geachtet. »Ja, das mag sein.«
    »Wird sie sterben?«
    Ich erzählte ihm von meiner Diagnose, die zu einiger Hoffnung Anlass gab.
    »Wie heißt sie eigentlich?«
    »Ich weiß es nicht. Wir können sie morgen früh fragen.«
    »Und wie steht es mit dem Mann, den Eustach und Meister Karl gebracht haben?«
    »Der Tod greift schon nach ihm.«
    Hinz zog die Stirn in Falten. »Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe sein Gesicht schon einmal gesehen. Es könnte sich um den Ratsherrn Allan von Selfisch handeln.«
    »Gut, schauen wir nach ihm.«
    Wir gingen in den Behandlungsraum und sahen nach dem Mann. Abermals gab er kein Lebenszeichen von sich. Puls und Atmung waren nicht feststellbar.
    »Er ist tot«, sagte Hinz.
    »Das habe ich vorhin auch gedacht«, antwortete ich. Als wolle er meine Worte bestätigen, atmete der Mann in diesem Augenblick hörbar ein. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Gleichzeitig wurden seine Hände unruhig, es sah aus, als krame er nach etwas.
    »Es geht zu Ende«, sagte ich.
    Wir warteten. Um die Zeit zu überbrücken, sprach ich ein Vaterunser, und Hinz betete mit. Als wir das »Amen« sagten, hörten wir ein weiteres gequältes Atmen. Wir hätten nicht zu sagen vermocht, warum, aber wir wussten beide, dass es der letzte Atemzug des Mannes gewesen war.
    »Der Herr nehme seine Seele zu sich und gebe ihm Frieden«, murmelte ich.
    »Amen«, sagte Hinz noch einmal.
    »Höre, Hinz, ich möchte Gewissheit haben, dass es sich bei dem Toten um den Ratsherrn von Selfisch handelt. Ich werde ihn deshalb durchsuchen. Vorhin, als er noch lebte, wäre es würdelos gewesen.«
    »Ja, Herr.«
    Ich begann, die Kleider des Toten abzutasten, und fand zunächst nichts, doch dann, als ich den Scheckenrock aufgeknöpft hatte, entdeckte ich am Gürtel eine Ledertasche. Ich öffnete sie und holte den Inhalt hervor. Es war der eines Patriziers: mehrere Schlüssel am Bund, ein Siegel, fünf Würfel, ein Vergrößerungsglas, wohl zum leichteren Lesen kleiner Buchstaben, ein Ohrlöffel, Stahl und Stein, um Feuer zu schlagen, dazu Münzen in einem kleinen eingenähten Zugbeutel und mehrere gefaltete Bogen Papier. »Es sind Schriftstücke«, sagte ich und hielt die Bogen in das Licht des Kerzenleuchters, den Hinz unterdessen geholt hatte.
    Ich las. Es schien sich um einen Briefwechsel zwischen Familienangehörigen zu handeln, von denen der eine tatsächlich Allan von Selfisch war. Ich überflog die Zeilen nur, denn mit dem Inhalt hatte ich nichts zu schaffen, und sagte: »Du hattest recht, Hinz. Der Tote ist von Selfisch. Heute ist es zu spät, aber gehe gleich morgen früh zu seinem Haus, es liegt nördlich der Lehmannsbrücke, direkt am Ostufer der Gera, und überbringe seiner Familie die traurige Nachricht.«
    »Ja, Herr.«
    Ich faltete die Briefe zusammen und verstaute sie mit den anderen Dingen wieder in der Gürteltasche. »Die Angehörigen werden sicher für eine angemessene Beerdigung sorgen.«
    »Das denke ich auch, Herr.«
    Wir hoben den schweren Mann von der Pritsche herunter und legten ihn auf den Boden, denn es war Zeit für uns, schlafen zu gehen, und wir brauchten die Pritsche für Hinz. Schnapp und ich gingen zum Krankenzimmer von de Berka, wo ich rasch sein Befinden überprüfte. Er hatte kaum noch Fieber, was mich einerseits freute, andererseits sorgenvoll stimmte. Erlosch die Glut im Körper, erlosch der Körper mit. Dennoch fielen mir die Augen zu, so müde war ich. Ich wollte mich wie üblich zwischen meine beiden

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