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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nach hin. Es gab ein Geräusch, das an das Brechen eines Astes erinnerte, dann lag er still. Er lag auf dem Rücken, in seltsam gekrümmter Haltung, sein Kopf ruhte neben einem granitenen Eckstein. Heftig atmend beugte ich mich zu ihm herab. »Engelhuss?«
    Ein Zucken lief durch seinen Körper.
    »Engelhuss, könnt Ihr mich hören?«
    Meine Wut verrauchte und machte der Ernüchterung Platz. Ich wusste: Engelhuss, mein verhasster Gegner, hatte sich den Kopf aufgeschlagen. Er war tot.
    Was hatte ich getan! Nur langsam wurde mir die Tragweite meines Handelns bewusst.
    Und dann lief ich. Ich lief, so schnell ich konnte, fort. Fort von der Stätte des Grauens. Fort von der Stätte, an der ich einen Menschen getötet hatte.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich umherirrte, irgendwann jedoch stieß ich die Tür zu de Berkas Haus auf und trat in die Eingangshalle. Mein Freund, der gerade einen Patienten behandelte, blickte auf und sah mich an. Dann fiel ihm die Kinnlade herunter. »Bei allen guten Geistern!«, entfuhr es ihm. »Was ist passiert?«
    Ich wankte zu der steinernen Bank, setzte mich, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
    De Berka war mit drei Schritten bei mir. »Was ist passiert?«, wiederholte er. »So rede doch schon!«
    Da erzählte ich ihm alles. Stockend und schluchzend.
    »Das biegen wir wieder hin. Die Welt dreht sich weiter. Auch für dich, Lukas«, sagte er, als ich geendet hatte. Dann flößte er mir einen Trank ein.
    »Was ist das?«, wollte ich wissen.
    »Frag nicht, trink.«
    Gehorsam trank ich das Gebräu.
    »Und nun schlafe«, befahl de Berka.
    Und ich schlief.
     
    Als ich erwachte, wusste ich nicht, wo ich mich befand. Ich war in einem Raum, den ich nicht kannte.
    »Ich weiß, was du denkst«, hörte ich die Stimme von de Berka. »Du denkst, wo bin ich nur? Die Antwort ist: in einem vernünftigen Bett. Nach allem, was dir passiert ist, hielt ich es nicht für angemessen, dich wieder in deinem geliebten Foltergestühl schlafen zu lassen.«
    »O mein Gott.« Die Geschehnisse der vergangenen Nacht fielen mir ein. Ich wollte aus dem Bett springen, aber de Berka hielt mich zurück. »Bleib, wo du bist. Hinz wird gleich mit einem kräftigen Frühstück kommen, das Muhme Lenchen mit Liebe für dich zubereitet hat. Inzwischen werde ich dir erzählen, was sich zutrug, nachdem ich dich gestern Abend ins Land der Träume schickte. So höre denn: Sowie du eingeschlafen warst, rief ich nach Eustach und Hinz. Als beide vor mir standen, erklärte ich ihnen dein Missgeschick. Wir waren uns einig, dass der Fall Engelhuss ein für alle Mal erledigt werden müsse, und zwar so, dass dir kein Schaden daraus erwachsen könne.«
    »Das ist unmöglich«, seufzte ich.
    »Du unterschätzt die Phantasie und die Tatkraft deiner Freunde. Höre weiter: Noch in derselben Stunde brachen Eustach und Hinz mit dem Karren auf. Der Wagen war, wie es der Zufall wollte, noch mit den Pesttoten des Tages beladen. Sie schoben ihn zum
Güldenen Einhorn
und hatten Glück. Ganz in der Nähe, an dem von dir beschriebenen Ort, fanden sie Engelhuss’ Leiche. Wahrscheinlich hatten die wenigen Fußgänger, die ihn sahen, gedacht, er sei betrunken und schliefe seinen Rausch aus. Eustach und Hinz jedenfalls luden Engelhuss auf den Wagen und richteten es so ein, dass sein Körper von den anderen Toten verdeckt wurde, so dass niemand ihn erkennen konnte. Dann fuhren sie vor die Stadt und legten ihn in ein Massengrab. Da ruht er nun und wartet auf den Tag des Jüngsten Gerichts.«
    Ich schwieg und stellte mir meinen Feind vor, wie er dort lag, eingeklemmt unter Pesttoten mit ihren Beulen und Schwären, umweht von unerträglichem Gestank.
    »So weit zu Engelhuss und seinem Schicksal. Du aber, mein lieber Lukas, solltest die ganze Angelegenheit auf das Schnellste vergessen.«
    Das kann ich nicht, wollte ich antworten, doch in diesem Augenblick erschien Hinz in der Tür, ein großes Tablett in der Hand. Darauf ein Morgenmahl von so leckerer Beschaffenheit, dass meine Grübeleien verschwanden und einem gesunden Appetit Platz machten.
     
    Zwei Tage später, am Mittwoch, dem fünfundzwanzigsten Juni, erklärten Schultheiß und Rat die Stadt für pestfrei. Alle Kirchenglocken vereinten sich zu einem gewaltigen Geläut der Freude, Feste wurden gefeiert, Dankgottesdienste abgehalten. Wie auf göttlichen Zuruf hin füllten sich die Gassen und Plätze neu, und das geschäftige Summen Erfurts, das so lange nicht zu hören gewesen war, erklang

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