Der Medicus von Heidelberg
Gewissheit. Die ersehnte Nachricht von Odilie hatte mich endlich erreicht. Meine Prinzessin versicherte mir in ihrer zierlichen Handschrift, wie sehr ich ihr fehle und wie sehr sie mich liebe. Sie würde mich bis ans Ende ihrer Tage lieben, treu und unverbrüchlich, ganz gleich, was da kommen möge. Dann folgte die eigentliche Nachricht:
… Mein Liebster, unser beider Befürchtungen sind leider wahr geworden. Bei dem Schreiber, der uns am Haus des Pedells hinter der Kanzlei aufschreckte, handelt es sich um jenen, der sich schon einmal so ungezogen zeigte, als es darum ging, mich im Schloss anzumelden.
Erinnerst Du Dich?
Er nennt sich Actuarius und hat ein Schandmaul. Er hat über die Begegnung mit uns geplappert. Gerüchte liefen durch alle Teile des Schlosses, ich wäre in der Verkleidung eines Marktweibs mit einem fremden Mann gesehen worden. Ich hätte mit ihm öffentlich Unzucht getrieben. Der »Weiberfreund« hat mich daraufhin vor der gesamten Dienerschaft geschlagen und gedemütigt. Ich sollte alle »Verfehlungen« auf der Stelle gestehen!
Aber ich habe kein Sterbenswörtchen gesagt.
Trotzdem, mein Liebster, werden wir uns so lange nicht mehr sehen können, bis das Rad der Fortuna sich wieder für uns dreht. Ich sehne den Tag herbei!
In ungebrochenem Stolz und in niemals endender Liebe bin ich für immer
Odilie, Deine Frau
Ich blickte von dem Geschriebenen auf, und mein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Der Weiberfreund, dieser verfluchte Dreckskerl! Er hatte meine Odilie, meinen Augenstern, meine über alles geliebte Frau geschlagen! Am liebsten wäre ich sofort zum Schloss gelaufen und hätte den erbärmlichen Halunken zur Rede gestellt. Doch das wäre mehr als töricht gewesen.
Ebenso töricht wäre es gewesen, den Schreiberling, diesen hochnäsigen, wichtigtuerischen Actuarius, in die Schranken zu weisen. Ich hätte mich in beiden Fällen nur verraten. Und damit wäre weder meiner Prinzessin noch mir gedient gewesen.
Aber was konnte ich tun?
Nichts, so schien mir nach eingehender Überlegung. Und mit der Erkenntnis der Hilflosigkeit kam abermals die Wut über mich. Ich knirschte mit den Zähnen, meine Hände ballten sich zu Fäusten in ohnmächtigem Zorn. »Hättest du, meine Prinzessin, mir das doch niemals geschrieben«, murmelte ich. »So aber werde ich zwei Menschen für immer hassen.«
Ohne es zu bemerken, war ich weitergegangen, nahm erst jetzt die erstaunten, neugierigen Gesichter der mir begegnenden Menschen wahr, und versuchte, mich wieder in die Gewalt zu bekommen.
Ich ging zum Gebärhaus und dankte Rosanna, dass sie sich um Schnapp gekümmert hatte. Auf ihre Frage hin, welche Laus mir über die Leber gekrochen sei, schüttelte ich nur den Kopf und strebte mit Schnapp hinauf in meine winzige Kammer.
Da saß ich für geraume Weile, mit Gott, dem Schicksal und den bösen Mächten hadernd, und selbst Schnapp, mein treuer Hund, vermochte mich nicht zu trösten. »Schnapp, mein Großer«, sagte ich schließlich, »ich brauche jemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Komm mit, wir gehen zu Fischel.«
Fischel jedoch war nicht zu Hause. Er war am Fluss, wo er helfen musste, die Netze zu flicken. Ich traf nur Rahel an und wollte gleich wieder gehen, doch sie hielt mich am Ärmel fest und sagte: »Man müsste blind sein, um nicht zu sehen, dass mit dir etwas nicht stimmt. Komm herein und erzähl mir, wo der Schuh drückt.«
Ich folgte ihr und schüttete ihr nach anfänglichem Zögern mein Herz aus. Vielleicht ist es ganz gut, dachte ich dabei, wenn ich meinen Kummer einer Frau erzähle. Frauen sind einfühlsamer als Männer, vielleicht weiß sie einen Rat.
Und sie wusste Rat. Nachdem sie den kleinen Simon frisch gewindelt hatte, sagte sie zu mir: »Dein Gott ist genauso stark wie der unsere, denn es ist derselbe. Ich an deiner Stelle würde in die Kirche gehen, um zu beten, denn Beten gibt Kraft und Zuversicht. Und stimmt versöhnlich. Alles andere findet sich. Der Erhabene, dessen Name gepriesen sei, blickt auch auf dich herab und vergisst dich nicht. Irgendwann wird er an dich und Odilie denken und euch wieder zusammenführen. Eines allerdings ist dafür als Voraussetzung unabdingbar.«
»Von welcher Voraussetzung sprichst du?«, fragte ich.
»Davon, dass du fest daran glauben musst. Je fester du daran glaubst, desto eher werden deine Wünsche in Erfüllung gehen.«
Ich dachte über ihre Worte nach und sagte dann: »Ich will es versuchen, auch wenn ich manchmal an Gottes Gerechtigkeit
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