Der Medicus von Heidelberg
hatte einmal – halb im Scherz – auf Deutsch gesagt: »Ehe in diesen Mauern ein Furz ertönt, will ich lieber tausendmal einen
flatus
hören!«
Zu seiner Rechten saß Gemitus, zu seiner Linken ein weiterer Magister Artium, der mir als Anselmus Engelhuss vorgestellt worden war, daneben ich. Im Vergleich zu den langen Tischen ging es an unserem deutlich ruhiger zu, da Gansdorff kein großer Redner war. Gleichwohl hatte er nichts gegen ein gesittetes Tischgespräch, solange es auf Latein geführt wurde. Ich selbst schwieg ebenfalls, denn ich musste mich erst wieder daran gewöhnen, in so großer Gesellschaft zu speisen.
Wir waren an die vierzig Jünglinge und Männer, alle in die gleiche Bursarierkutte gekleidet, doch in Art und Wesen von höchst unterschiedlicher Natur. Neben den einfachen Studenten gebärdeten sich die Baccalarii am lebhaftesten. Zu ihnen gehörten Faustus Jungius, ein Student der Juristerei, genannt »der Römer«, weil er eine römische Nase hatte, Barward Tafelmaker, ein Mathematicus, der seit 1503 an der Hierana studierte, Tilman von Prüm, der sich der Theologie verschrieben hatte, Martin Luther, ein Jurist
in spe,
der durch sein ernstes Gebaren und seine Sprachgewandtheit auffiel, und Hiob Rotenhan, dessen Familie sanften Druck auf ihn ausgeübt hatte, damit er ein Geistlicher werde.
Sie alle warfen mir hin und wieder verstohlene und abschätzende Blicke zu, weil ich ein neues Gesicht in der Runde war und weil sich vermutlich herumgesprochen hatte, dass mir ein großer Hund gehörte.
Gleich nachdem das Dankgebet gesprochen war, bat ich meine Kollegen, mich zu entschuldigen, da ich nach einem langen Tag müde sei, und ging in meine Kammer. Schnapp kam mir schwanzwedelnd entgegen. Ich streichelte ihn und fragte: »Gehen wir noch ein bisschen spazieren?«
Die Antwort war ein freudiges Aufheulen.
»Pst, nicht so laut, sonst werfen sie uns hinaus.« Ich leinte Schnapp an und ging mit ihm über das Kopfsteinpflaster des Innenhofs zum Tor. Ich war ziemlich sicher, dass manch einer mich dabei beobachtete und mir den Besitz des Hundes neidete, doch das war mir gleichgültig. Schnapp und ich hatten so viel gemeinsam erlebt, dass ich mich niemals von ihm getrennt hätte. Im Abendlicht spazierte ich mit ihm die Augustinerstraße entlang, ging über die steinerne Lehmannsbrücke, die beide Ufer der Gera verbindet, und bog dann links in die Michaelisstraße ein. Da die meisten der Erfurter ihr Tagewerk bereits verrichtet hatten, waren nicht mehr viele von ihnen unterwegs. Doch die wenigen, die mir begegneten, machten große Augen. Einen Mann mit einem so stattlichen Hund sahen sie nicht alle Tage.
Ein paar Schritte weiter tat sich linker Hand die Furthmühlgasse auf, die im Bogen um das Herzstück der Hierana führte: das Collegium Maius mit seinen angrenzenden Gebäuden. Ich war am Morgen schon hier gewesen, um mich zu immatrikulieren, doch jetzt, am Abend, hatte ich Muße, das Areal in seiner ganzen Pracht zu bewundern. Schnapp hatte naturgemäß weniger Interesse an der Schönheit der Treppen, Säulen und Rundbogen, sondern schnupperte eifrig in den Ecken und Winkeln. Da ich nicht wusste, wie die Erfurter zu Hunden standen, zog ich ihn rasch weiter, bog rechts in die Studentengasse ab, von der aus ich wieder auf die Michaelisstraße gelangte.
Wenig später hatten wir unseren ersten Rundgang hinter uns. Ich grüßte Kaspar, den Torposten, am Burseneingang und ging, ohne zu verweilen, in meine Kammer. Aus den Räumen links und rechts neben mir drangen Wortfetzen und Gelächter, am Ende des Ganges erklang sogar ein Lied zur Gitarre. Jemand steckte den Kopf aus der Tür, der Nase nach war es Faustus Jungius, der Römer, und fragte mich, ob ich mithalten wolle. Man habe gerade einen artigen Silvaner im Becher.
Ich lehnte freundlich ab und ahnte allmählich, warum die Georgenburse auch Biertasche genannt wurde.
»Dann nicht«, sagte er grinsend. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortete ich.
Schnapp und ich legten uns zur Ruhe. Es war acht Uhr am Abend, und wir waren so müde, dass wir trotz aller Geräusche um uns herum sofort einschliefen.
Da die Mediziner an der Hierana die kleinste Gruppe der Studenten darstellten, fanden die Vorlesungen für sie im Kleinen Hörsaal statt. In diesem Saal saß ich am nächsten Morgen, Punkt sieben Uhr, erwartungsfroh und aufgeregt, und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich fragte mich, wie Professor Justus Rating de Berka, der mich so leutselig
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