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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nehmen.«
    »Bist du nicht ein wenig zu streng mit dir?«
    »Ich glaube, wenn man das Höchste anstrebt, kann man nicht streng genug mit sich sein.«
    »Nun, vielleicht hast du recht.« Ich wollte das Gespräch beenden, aber Eoban redete weiter: »Wenn es mir gelingen sollte, ein Werk wie die Aeneis zu verfassen, werde ich mich Eobanus Hessus nennen, weil ich aus Halgehausen in Hessen stamme. Aber ich fürchte, bis dahin ist es noch ein langer Weg.«
    »Ich hoffe, ich kann das Meinige dazu beitragen, damit er kürzer wird«, sagte ich und verabschiedete mich endgültig.
    Ich wollte zu meiner Kammer, die im Oberstock des Hauptgebäudes lag, doch ich überlegte es mir anders. Ich hielt einen vorübereilenden Burschen auf und fragte ihn, wo der Magister Engelhuss seinen Raum habe.
    »Der wohnt im gleichen Stock wie Ihr, ganz am Ende des Ganges.«
    »Danke«, sagte ich. Die Tatsache, dass der Junge wusste, wo meine Kammer war, sprach dafür, dass ich es in der Georgenburse schon zu einiger Bekanntheit gebracht hatte. Wahrscheinlich lag das an meinem getreuen Schnapp.
    Ich klopfte an der Tür zu Engelhuss’ Raum und trat ein, nachdem von drinnen ein »Herein« ertönt war. Engelhuss saß an einem Tisch und wirkte recht vergnügt. Vor ihm lag ein aufgeschlagenes Werk, in dem er offenbar las. Er schien meinen fragenden Blick richtig zu deuten, denn er begann das Gespräch, indem er ausrief: »Dante, ach, Dante Alighieri! Ich liebe ihn. Das schönste seiner Werke ist immer noch die
Göttliche Komödie,
findet Ihr nicht auch, Herr Kollege?«
    Ich musterte ihn, wie er so dasaß, einen Krug Wein zur Stärkung in Reichweite, und fragte mich, ob das, was er mir vorspielte, nicht auch eine Komödie sei. »Ich hörte, Ihr laboriert an einem Fieber?«, fragte ich.
    »An einem Fieber? Ach ja, ganz recht! Es kommt und geht, müsst Ihr wissen. Nichts auf der Welt ist so launisch wie ein Fieber! Bei Gott, heute Mittag lag ich noch darnieder, den Schweiß auf der Stirn, das versichere ich Euch. Gewiss ist Euch nicht entgangen, dass ich das Mittagsmahl ausfallen lassen musste.«
    Als ob das ein Beweis wäre, dachte ich im Stillen. Laut sagte ich: »Wegen Eurer Krankheit musste ich für Euch einspringen und die Nachhilfestunden in Latein übernehmen …«
    »… wofür ich Euch außerordentlich dankbar bin.« Engelhuss führte den Weinbecher zum Mund und trank einen großen Schluck. Auf die Idee, mir auch einen Becher anzubieten, kam er nicht.
    Allmählich wurde ich ärgerlich. Es lag auf der Hand, dass ich es hier mit einem dreisten Drückeberger zu tun hatte. Deshalb steuerte ich ohne Umwege auf mein Ziel los. »Während des Unterrichts ist mir aufgefallen, dass die Schüler sich gegenseitig häufig denunzieren, indem sie laut das Wort ›Wolf‹ ausrufen. Ihr wisst schon, was ich meine. Sie machten mich darauf aufmerksam, dass es einen ›Wolfszettel‹ gäbe und eine Rute zur Züchtigung.«
    Ich hielt inne, um meinen folgenden Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. »Es handelt sich um Eure Rute, Herr Kollege!«
    »Das ist zweifellos richtig.« Engelhuss ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    »Eure Rute, mit der Ihr die ›Missetäter‹ zu schlagen pflegt. Ich fordere Euch auf, das künftig zu unterlassen.«
    »Ach, und warum, wenn ich fragen darf?« Engelhuss wirkte auf einmal gar nicht mehr fröhlich. Sein Gesicht nahm einen verkniffenen Ausdruck an.
    »Weil ich nichts von Schlägen halte. Angst war noch nie ein guter Lehrmeister. Ein Lob an richtiger Stelle bewirkt viel mehr.«
    »Mein lieber Herr Kollege! Wie ich meinen Unterricht gestalte, mögt Ihr bitte mir überlassen. Im Übrigen: Was geht Euch das alles überhaupt an?«
    »Sehr viel, Herr Kollege! Es geht dabei nicht um mich, sondern um die Schüler. Ihnen den größtmöglichen Nutzen in jeder Unterrichtsstunde zu verschaffen, das sollte Euer Streben sein. Schläge jedoch sind Gift für ein gedeihliches Lernen.«
    »Jetzt ist es aber genug! Ihr kommt hier herein, stört mich bei meiner Lektüre und haltet mir Vorträge über die Art und Weise, wie ich meine Schüler zu unterrichten habe. Als ob ein paar Rutenhiebe jemals dem Lernprozess abträglich gewesen wären. Ich werde mich bei Professor Gansdorff über Euch beschweren.«
    »Genau das werde ich auch. Darüber, wie Ihr eine Krankheit vortäuscht, um Euren Unterricht zu schwänzen. Auf Kosten der Kollegen.«
    Ich drehte mich um und verließ den Raum. Innerlich kochte ich vor Zorn, trotzdem wusste ich, dass ich nicht

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