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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zu Gansdorff gehen würde. Ich hätte Engelhuss dann anschwärzen müssen und wäre damit nicht besser gewesen als die Wolf-Rufer. Das wollte ich nicht. Stattdessen ging ich in den Unterrichtsraum neben dem Remter und nahm die Rute aus dem Pult. Erst jetzt sah ich, dass sie an ihren Spitzen schwarze Verkrustungen aufwies – Blut. Ich ging mit der Rute über den Hof hinüber zur Küche und warf sie dort ins Feuer.
    Der kleine Ausflug hatte mir gutgetan, meine Laune besserte sich. In Engelhuss hatte ich gewiss keinen Freund gewonnen, aber das war mir einerlei. Ich begrüßte Schnapp, machte mit ihm einen Gang ums Viertel und setzte mich später am Abend an meinen Tisch in der Kammer, um Briefe zu schreiben. Drei sollten es insgesamt sein. Den ersten an meinen Vater, in dem ich ihm alles bisher Erlebte schildern wollte, mit der Zusicherung, es gehe mir gut; den zweiten wollte ich an meinen alten Freund Johann Heinrich Wentz senden, etwa gleichen Inhalts.
    Für beide Briefe floss mir der Text recht leicht aus der Feder. Ich schilderte die schönen Erlebnisse ein wenig schöner und die gefährlichen ein wenig ungefährlicher und vermittelte bei alledem den Eindruck, ich wäre zu jeder Zeit fröhlich und guter Dinge gewesen. Von meinen fehlenden Fingern an der rechten Hand schrieb ich nichts. Meine Liebe zu Odilie verschwieg ich ebenfalls, da ich sicher war, auch Vater oder Wentz hätten mir die Geschichte nicht geglaubt. Ich unterschrieb die Briefe, versiegelte sie und adressierte sie.
    Der dritte Brief sollte an meine Prinzessin sein. Doch ich tat mich wider Erwarten schwer. Ich wusste nicht, was ich schreiben konnte, denn ich war nicht sicher, ob der Brief von zensierender Hand geöffnet werden würde. Der Gedanke, dass ein Fremder meine innersten, zärtlichsten Gefühle darin lesen könnte, sich womöglich darüber lustig machen würde, war mir zuwider. Die andere Möglichkeit, nämlich einen hölzernen Bericht abzufassen und ihn mit einem höflichen, nichtssagenden Gruß zu beenden, gefiel mir ebenso wenig.
    Nein, beides kam nicht in Frage.
    Lange kämpfte ich mit dem leeren Pergament. Wie konnte ich Odilie meiner Liebe und meiner Treue versichern, ohne es in Worte zu kleiden? Schließlich gab ich auf. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass mir irgendwann eine Lösung einfallen würde.
    Zu einem späteren Zeitpunkt.

Kapitel 8
    Erfurt,
11 . September bis 10 . November 1504
    E s war am Mittwoch der darauffolgenden Woche, als ich nach der Vorlesung im Collegium Maius zur Georgenburse zurückkehrte und in der Wäscherei vorbeischaute. Stickige Luft und warmer Dampf, die von den hölzernen Bottichen im hinteren Bereich herrührten, schlugen mir in der Tür entgegen. Doch ich hatte Glück, das Bündel Wäsche, das ich am Montag zur Säuberung dagelassen hatte, war fertig. Ich bedankte mich bei der Aufseherin, einer ältlichen Person namens Roswitha, und steuerte ohne Umwege meine Kammer an, in der Schnapp wie immer auf mich wartete. »Na, Schnapp, mein Großer«, sagte ich, »unsere Wäsche ist wieder da. Wollen doch mal sehen, wie sie geworden ist.«
    Nachdem ich das Bündel aufgeschnürt hatte, entfuhr mir ein »Donnerwetter«. Die Sachen, die ich vorfand, waren zwar blitzsauber geworden – wohl auch der Rasenbleiche wegen, die Roswitha bei schönem Wetter zur Anwendung brachte –, aber sie gehörten mir nicht. Sie waren zu klein, die Ärmel der Hemden waren zu kurz, die Leibwäsche zu knapp. Dafür war das Wams zu weit. Kopfschüttelnd betrachtete ich die Kleider näher und stellte fest, dass sie genau wie meine mit »Lu« gekennzeichnet waren. Ich hatte die beiden Buchstaben, die für »Lukas« standen, mit einiger Mühe in meine Sachen hineingestickt, denn ich kannte aus meiner Baseler Burse noch die Gefahr der Verwechslung. Gute Kleidung war begehrt, und der eine oder andere hatte nichts dagegen, wenn er nach der Wäsche plötzlich ein besseres Stück sein Eigen nannte.
    Wer war es, der dasselbe Kürzel wie ich verwendete?
    »Komm, Schnapp«, sagte ich, »wir gehen zur Wäscherei und geben das Bündel zurück. Vielleicht lässt sich derjenige auftreiben, der meine Sachen irrtümlich erhalten hat.«
    Wie beabsichtigt, händigte ich Roswitha das Bündel aus und wollte gerade zu einer Erklärung anheben, als ein anderer Bursarier die Wäscherei betrat, ebenfalls ein Bündel unter dem Arm. Ich hatte ihn ein paarmal gesehen, doch nichts weiter mit ihm zu schaffen gehabt, da er noch den Status eines Baccalarius

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