Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
diktierte dann in sein Gerät, während er dabei in die Luft starrte:
»Jemand hat nach Eintritt des Todes die Oberschenkel- und Schienenbeinknochen des Opfers entfernt, diese durch PVC-Rohre ersetzt und dann das Gewebe wieder zugenäht.«
Die Luft zitterte. Das Geräusch der Lüftungsanlage war der einzige Laut. Ivar K war es, der die Worte aussprach, die alle dachten:
»Dieser Satan. Er hat sie entbeint. Wie ein Stück Geflügel, verdammte Scheiße.«
Seine Stimme überschlug sich, als er fortfuhr: »Dieses widerliche Schwein. Dem sollte man verdammt noch mal eine Kugel in die Birne jagen.«
»Entbeint?«
Eriksens Augen waren zwei Fragezeichen, aber reflexartig hatte er mitten in seiner Bewegung innegehalten und die Thermoskanne in der Luft zwischen zwei Bechern schweben lassen.
»Was soll das bedeuten? Warum?«
|44| Wagner ließ Ivar K antworten.
»Warum? Weil das eine kranke Drecksau ist, deshalb.«
Er spuckte das Wort förmlich aus. Hass war unvorteilhaft, wenn er nicht kontrolliert werden konnte. Aber er konnte auch ein guter Motor für den eigenen Willen sein, um ein Verbrechen aufzuklären. Wagner sah Ivar K an. Sein ganzer Körper krümmte sich vor Ekel. Wagners Erfahrung sagte ihm, dass diese Reaktion die anderen aus der Abteilung anspornen würde, die sich zu Kaffee und Sandwiches aus der Kantine im Besprechungszimmer versammelt hatten.
»Gibt es noch keine Erkenntnisse über ihre Identität? Vermisstenmeldung?«
Hansen schüttelte den Kopf.
»Niemand, auf den die Beschreibung passt.«
»Was gibt es noch?«, fragte Kristian Hvidt, der Jüngste in der Runde.
»Die Kleidung wird oben im Vierten untersucht«, berichtete Wagner. »Und dann haben wir noch das Glasauge. Es könnte sein, dass es den wichtigsten Hinweis liefert. Wir müssen herausbekommen, wer die herstellt und wo man sie vorfindet. Krankenhäuser? Pathologisches Institut. Aber natürlich auch private Anbieter. Es gibt viele Menschen, die ein Glasauge haben.«
»Könnte es dem Täter gehören?«
Es war Arne Petersen, der diesen Vorschlag in den Raum warf. »Vielleicht hatte sie vor, es zu verschlucken, um uns eine Möglichkeit zu geben, den Mörder zu identifizieren?«
Wagner griff nach der Thermoskanne. Petersen hatte wie viele
Sakrileg
von Dan Brown gelesen, wo das Opfer Spuren für die Ermittler ausgelegt hatte. Die Idee war gar nicht so dumm. Er musste an den kleinen Film auf dem Handy und den Mann im Schatten denken.
»Vielleicht. Und dann haben wir ja noch diese Stiefel.«
Alle hatten den Film gesehen, den er auf einen der Computer kopiert hatte. Sowohl das Mädchen als auch ihre Mutter waren mittlerweile verhört worden. Er könnte sich aus Wut sonstwohin |45| treten, dass er Hansens Arbeit nicht überprüft hatte, in welchem Ausmaß er die Zeugen befragt hatte, und ob das elfjährige Mädchen Gelegenheit gehabt hatte, seine Geschichte zu erzählen. Wenn er Hansen richtig kannte, hatte er das Kind bestimmt schonen wollen, was in diesem Fall leider völlig fehl am Platze gewesen war. Dicte Svendsen und ihr Fotografenfreund hatten dieses Detail sofort erkannt und für sich genutzt.
»Ein gestiefelter Mann mit Glasauge«, fasste Ivar K zusammen. »Was kommt als Nächstes? Dass er auch ein Holzbein und einen Papagei auf der Schulter hat?«
Alle grinsten, sogar Jan Hansen. Er und Ivar K lagen sich oft in den Haaren, und anlässlich des übersehenen Handys waren auch bereits einige Bemerkungen gefallen. Aber dieses eine Mal schienen die Umstände jene Gegensätze abzuschwächen, die zwischen dem regeltreuen Hansen und dem Störenfried der Klasse, Ivar K, herrschten.
»Die Spurensicherung hat die Gegend doch überprüft. Haben die was gefunden?«, fragte Wagner.
Niemand wusste Bescheid. Er beschloss, den Kriminaltechnikern nach ihrem Meeting einen Besuch abzustatten.
Sein Handy klingelte. Er konnte auf dem Display sehen, dass der wachhabende Beamte von der Pforte anrief.
»Wagner.«
»Hier Henriksen, unten von der Anmeldung. Vor mir steht ein Ehepaar, das ihre 22-jährige Tochter vermisst. Eine Mette Mortensen.«
Mette. Das klang so alltäglich und unschuldig. Das klang wie der Name eines Schulmädchens, das pünktlich seine Hausaufgaben machte und direkt nach Schulschluss nach Hause ging. Wie die Tochter von jemandem.
Es klang nicht wie der Name eines Opfers, dessen Augen herausgeschnitten und deren Knochen entfernt wurden.
Wagner schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, der sich dort festgesetzt
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