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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Stettenheim
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Opernhause neben einem Herrn, der die bekannteren Melodieen mitsingt, so rede man ihn mit den höflichen Worten an: »Habe ich die Ehre, Herrn Scheidemantel neben mir zu sehen?« Nutzt dies nichts, so singe man selber mit.
    Was die Garderobe anbetrifft, so kann man den greulichen Zuständen, welche daselbst herrschen, nicht ausweichen. Hat man nicht Zeit zu warten, bis der Raum menschenleer ist, so rede man die Garderobefrauen, welche immer alt und verheiratet sind, mit: »Bitte, mein Fräulein!« an. Bleiben die Frauen ungerührt und wird man die Garderobenummer nicht an sie los, so verliere man endlich die Geduld und warte alles ruhig ab.
    Für die
Konzerte
    gelten natürlich manche der für den Theaterbesuch empfohlenen Verhaltungsmaßregeln, einige werden aber doch mit ganz besonderer Aufmerksamkeit behandelt werden müssen.
    Der Konzertbesuch ist nicht jedermanns Sache, aber nicht jedermann ist frei genug, wenn auch nicht in Ketten geboren, um dem Konzert ganz ausweichen zu können. Der eine ist Begleiter, der andere Abholer, der Dritte hat Rücksichten auf einen Künstler zu nehmen, der Vierte ist einem Freibillet erlegen, das ihn bei irgend einer traurigen Gelegenheit anflog. Diesen allen wird wohl nicht zweimal gesagt werden müssen, daß in vielen Konzerten die Thüren des Saales während der Vorträge geschlossen bleiben, welche für die inneren sowohl als für die äußeren Besucher so wohlthätige Einrichtung sehr leicht auszunutzen ist. Man treffe eben nach dem Beginn eines Vortrages im Vorraum ein und denke erst ganz kurz vor dem Beginn der folgenden Nummer daran, sich an den Garderobentisch zu begeben, so daß man zwei versäumte Vorträge profitiert. Auf diese Weise schlägt man zwei Konzertfliegen mit einem Schlage, indem man die Zuhörer nicht stört und von der Musik nicht gestört wird.
    Man erzähle seinen Stuhlnachbarn niemals, daß man dieses oder jenes Lied oder diese oder jene Klavierpiece in der laufenden Konzertsaison schon häufig mitgemacht habe. Es ist so traurig, Gegenstand des Mitleids zu sein. Es giebt Frauen, denen es angenehm ist, bedauernde Teilnahme zu erwecken, aber ein Mann muß dies zu verhindern wissen.
    Wird man vom unerbittlichen Schicksal an die Seite eines gefürchteten Wagnerianers geschleudert, ohne selbst ein solcher zu sein, so suche man mit diesem in ein Gespräch zu kommen und schildere ihm die eminenten Körperkräfte, welche man leider besitzt, und das Unglück, das man hat, indem man sehr leicht in einen gereizten Zustand zu versetzen ist. Man wird dann sofort merken, daß man sich erlauben darf, eine eigene Meinung zu haben.
    Man versuche einmal, in Konzerten eine eigene Meinung zu haben, selbständig zu urteilen und zu gestehen, daß einem nicht gefällt, was einem nicht gefällt, man wird alsbald finden, daß dies von Musikbolden strenge gerügt wird und nicht unter die Amnestie fällt. Man wird dann einsehen, daß mein vorher erteilter Rat durchaus nicht zu weit geht.
    Kommt ein Tongemälde etwa unter dem Titel »Die Welt als Wille und Vorstellung« zur Aufführung, so behaupte man nicht, es könne mit demselben Recht auch »Das Friedensmanifest des Zaren«, oder »Der Kulturkampf« heißen. Denn es hieß vielleicht ursprünglich »Die Entdeckung Amerikas«, der Musikverleger verlangte dann, es solle den Titel »Der Hund des Aubry« erhalten, man einigte sich hierauf des lieben Friedens willen auf den Titel »Der griechisch-türkische Krieg« und kehrte dann auf den speziellen Wunsch der Tante des Komponisten zu dem ursprünglichen Titel zurück, nachdem ein bedeutender Musikkritiker in der Generalprobe den Vorschlag gemacht hatte, das Tongemälde »Ouverture zu Grillparzers Weh' dem, der lügt!« zu betiteln und zwar mit solchem Eifer, daß es fast zwei Stunden lang so hieß.
    Schläft man ein, so schnarche man. Dann wird man durch das entstehende Gelächter geweckt. Wenn man aber nicht zu schnarchen pflegt, so nehme man sich sehr vor dem Einschlafen in acht. Das Schlafen ist ja ein Menschenrecht, aber in Konzerten ist es doch wohl nicht das Passende.
    Wenn man sich in einem Konzert nach Kräften gelangweilt hat, sage man dies nicht. Denn sofort würde sonst ein Freund ausrufen, daß das Konzert ein unvergleichlicher Genuß gewesen sei und der Freund wäre blamiert, obschon er dies nicht zugiebt, da in der Musik überhaupt nichts zugegeben wird.
    Ist man Musiker, so thue man im Konzert ein Übriges und lasse Mozart Gerechtigkeit widerfahren, auch gestehe man

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