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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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über die Enthüllungen in der Presse an das Hauptquartier wandten, wurden mit der Floskel beruhigt, Jason stehe als Mahaguru
    hoch über allen religiösen Einflüssen und habe in seinen Büchern lediglich die reinen Perlen der Wahrheit aller Kulturen aufgespürt, sie gereinigt und den
    modernen Menschen verständlich gemacht.
    Die Journalisten, die später die Liga angriffen, kannten nur einen Teil der Zusammenhänge, die Ted und mir bewusst waren und doch hätten die von ihnen
    recherchierten Tatsachen genügen müssen, um die Liga auszuschalten. Stattdessen wuchs die Liga, stattdessen strömten ihr die Menschen zu, stattdessen
    umspannte das Netz ihrer Organisation schon nach wenigen Jahren die ganze Welt. Alle Gesetze und Wahrscheinlichkeiten schienen außer Kraft gesetzt. Ich
    sage dies, um eine Antwort zu finden auf meine eigene Verzweiflung. Wie konnte es geschehen, dass ich hinnahm, was sich in den ersten Wochen und Monaten
    der Liga abspielte, wie konnte es geschehen, dass ich hineingezogen wurde in diesen Sog der Lüge? Nicht nur ich, sondern auch Ted, Edith, Jane und all die
    anderen, die in diesen frühen Jahren zu uns stießen und ihr Leben der Liga verschrieben.
    Jason sprach viel an diesem Abend. Er, der außerhalb seiner Vorträge wenig redete, goss einen nicht enden wollenden Strom von Worten aus, als sei ein Damm
    in ihm gebrochen. Er nahm vieles vorweg, was später in seine anderen Bücher, vor allem in das
Buch der Erleuchtung
einfloss. Er sprach über die
    uralten Adepten, die allen Weltenaltern die Botschaft der Wahrheit offenbart hätten, manchmal öffentlich, als hoch geachtete Weise, manchmal im
    Verborgenen, nur einer kleinen Schar von Schülern bekannt. Ihre Lehre, so erklärte er, sei die Urquelle aller Religionen und Mysterien der Welt. Immer
    wieder hämmerte er uns ein, dass endlich die Zeit gekommen sei, in der tiefen spirituellen Verkommenheit des zwanzigsten Jahrhunderts, nach dem Dunkel
    schrecklicher Kriege, mitten in dieser überhitzten, modernen, von Extremen zerrissenen Welt, dass gerade jetzt die Zeit gekommen sei, die Lehre der Uralten
    in reiner Form wieder an die Öffentlichkeit zu bringen und dass er, Howard Jason, von der Bruderschaft für diese Aufgabe ausersehen war, dass er nun das
    Szepter höchster spiritueller Macht in Händen hielt, das immer nur ein einziger trug, der lebende Mahaguru, der Auserwählte, die Verkörperung höchsten
    Bewusstseins.
    Wir hörten ihn an und verfielen ihm mit jedem seiner Worte mehr. Erst heute, so viele Jahre später, wird mir der Grad der Verblendung bewusst, in die uns
    Jasons Worte versetzten. Damals ging ich arrogant darüber hinweg, weigerte mich, klar zu sehen und wischte jeden Zweifel an meiner eitlen
    Selbstüberschätzung mit der gleichen Vehemenz vom Tisch wie ein Trinker die Einsicht leugnet, er sei Alkoholiker. Ich fühlte mich diesem Unsinn hoch
    überlegen und dachte mir sarkastische Wortspiele aus, mit denen ich später Ted zum Lachen bringen würde. Ich schielte zu Edith hinüber und sah sie
    fasziniert Jasons Ausführungen lauschen. Jane saß regungslos, den Kopf gesenkt und nahm die Worte ihres Verlobten andächtig in sich auf. Ich schaute Ted an
    und fand auch seine Miene wie versteinert und gebannt von Howards Rede. Erst als er meinen Blick bemerkte, schreckte er auf und gab mir durch ein
    spöttisches Zucken der Mundwinkel zu verstehen, dass auch er weit über all dem stehe. In Wirklichkeit war er in der gleichen Illusion gefangen wie ich. Ich
    spürte nicht, dass die scheinbare Überlegenheit, die ich als Fassade vor meiner betäubten Vernunft auftürmte, nur Ausdruck schwindenden
    Unterscheidungsvermögens war, einer Erniedrigung meines Geistes zu einem willenlosen Instrument, das seine vorbestimmte Rolle im Plan einer dämonischen
    Macht spielte.
    Als Jason uns an diesem Abend verließ, gab es keine Einwände mehr gegen sein Buch. Nazir Ji war vergessen. Als wenige Wochen später bekannt wurde, dass er
    in seinem Ashram in Indien verstorben war, hielten wir das für eine Bestätigung der abschätzigen Worte, die Howard über ihn geäußert hatte. Nazirs Bewegung
    zerfiel rasch in bedeutungslose Splittergruppen, seine Bücher, aus denen Jason ganze Kapitel abgeschrieben hatte, gerieten in Vergessenheit.
    Edith und ich standen an der Türe, um unseren Gästen nachzuwinken. Ted eilte noch einmal zurück.
    „Ich habe ganz vergessen, dir etwas zu geben,“ sagte er augenzwinkernd und drückte mir einen Briefumschlag

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