Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
Vom Netzwerk:
plötzlich alles verändert. Aron fühlte, dass diese Dinge, auf denen sein Leben gründete, nicht
    mehr selbstverständlich waren.
    Gestern war er auf Tour gewesen mit dem Kleinbus der Mission, um in Singaraja einheimische Atmas zu besuchen, um Berichte zu sammeln und einem Vortrag vor
    einigen Interessenten beizuwohnen, die in einem schäbigen Hinterzimmer versammelt waren, alte Männer, die den roten Saft der Betelnuss auf den Boden
    spuckten und ein paar Jugendliche in Plastikjacken und Sonnenbrillen, die flüsternd und lachend beisammenstanden und auf das Verteilen der Geschenke
    warteten, die für sie bereitlagen. Sie nahmen die Tonbandkassetten mit populärer Liga-Musik in Empfang, die Aufkleber und Anstecknadeln, und verließen
    lachend den Raum, während die Alten noch schweigend saßen, um die bedruckten Faserschreiber und billigen Werkzeuge zu betrachten, die man ihnen in die Hand
    gedrückt hatte, zum Dank, dass sie den knappen Ausführungen des Missionspersonals zuhörten. Es war eine deprimierende Erfahrung gewesen. Jay, ein fester
    Mitarbeiter des Missionshauses, hatte gesprochen, in simplifiziertem Englisch, und einer der balinesischen Freiwilligen hatte für die Alten in die
    Landessprache übersetzt. Aron war die Aufgabe zugefallen, die Geschenke zu verteilen, sie in die teilnahmslos hingestreckten Hände der Alten zu legen und
in die scheu und doch gierig zupackenden der Jungen. Er hatte gelächelt dabei, wollte Liebe und Freundlichkeit verströmen, wie das
Buch der Erleuchtung
es von einem Botschafter der Liga forderte, etwas in seinem Innersten aber schämte sich dafür, diese Menschen mit billigem
    Tand anzulocken, nur damit die Besucherzahlen in den Statistiken für das Hauptquartier die Vorgaben erfüllten. Die einheimischen Helfer hatten indes
    Plakate in der Stadt geklebt und Handzettel in Geschäften hinterlassen. Nichts von dem Bali, das Ben in seinen Zeilen beschwor, hatte er auf der Fahrt
    entdecken können. Sie waren auf der Durchgangsstraße gefahren, die den Süden mit dem Norden der Insel verband, durch staubige Dörfer, an einem Golfhotel am
    Bratansee vorbei, auf Serpentinen hinab nach Singaraja, eine laute, schmutzige, nach Abgasen stinkende Stadt. Alles war Enttäuschung gewesen, Ernüchterung,
    jäher Zerfall aller Erwartungen. Und nun sollte er Bericht erstatten über den Verlauf des Vortrags, über den Erfolg dieser Tour. Aron suchte nach
    geeigneten, vorsichtigen Worten, als er von seinem Quartier zum morgendlichen Treffen hinüberging, doch es formte sich nur bittere, harsche Kritik.
    Bevor Aron das im „balinesischen Stil“ erbaute ehemalige Bankettgebäude betrat, in dem die Besprechungen und Arbeitssitzungen stattfanden, ging er zum
    Strand hinunter. Weit draußen brandeten hohe Wellen an das Riff. Fernes Rauschen und Donnern erfüllte den Himmel. Innerhalb der natürlichen Barriere lag
    das türkisfarbene Wasser unbeweglich. Kein Windhauch bewegte die Palmen, die sich dem Meer entgegenneigten. Aron dachte wieder an Ben. Die Gedanken und
    Erinnerungen an den toten Freund begleiteten ihn auf dieser Reise intensiver als zu Hause. Ben hatte die letzten Wochen seines Lebens hier verbracht und es
    schien, als sei an diesen Palmen, diesem Strand, den üppigen Blüten des Gartens, etwas von ihm geblieben, von seinen Gefühlen, seinen Gedanken, seinen
    Plänen. Was hätte Ben in seiner Situation getan? Er hätte dem Missionsleiter offen die Meinung gesagt, ohne sich um mögliche Folgen zu scheren. Vermutlich
    hatte Crapp darauf angespielt, als er von Bens kritischen Briefen sprach. Wahrscheinlich hatte Ben Streit mit den Leuten der Mission gehabt, hatte sich
    hinreißen lassen zu einem hitzigen Ausbruch. Es war nicht einfach, Kritik an Aktionen der Liga anzubringen, denn sie standen stets in Einklang mit den
    Anweisungen des Hauptquartiers und den Leitlinien im
Buch der Erleuchtung
. Dessen Inhalt aber war unangreifbar, erhaben über alle Meinungen und
    Zweifel. Und doch gab es seit der Nacht, da er Bens Kassette gehört, eine Stimme in ihm, die unablässig Fragen stellte, die ihn quälte und drängte, die
    seine Geborgenheit in den Kreisen der Liga zerrieb. Aron fühlte sich bedrückt und zerrissen. Er sah, wie die anderen von ihren Quartieren zielstrebig zum
    Treffen eilten, er aber wäre am liebsten fortgelaufen, den Strand entlang, der sich in sichelförmigem Schwung unter den Palmen hinzog.
    Die schwermütige Stimmung fiel von Aron ab, als er das Sitzungshaus betrat. Dan

Weitere Kostenlose Bücher