Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
die Medien darauf aufmerksam wurden und darüber berichteten, was natürlich einen weiteren Verkaufsschub nach sich zog. Dabei spielte es keine
Rolle, dass die Journalisten das Buch zumeist höhnisch verrissen. Es war wie ein Goldrausch. Die Mitgliederzahl der Liga nahm sprunghaft zu. Immer mehr
Menschen waren bereit, Howard Jason als Mahaguru, als Erleuchteten, anzuerkennen und bestellten seine Wahrheitsbriefe.
Jane hielt die Finanzen der Liga-Organisation in Händen. Jason kümmerte sich kaum um Geldangelegenheiten, daher hatte ich stets mit Jane zu tun, wenn es um
die Abrechnung der Gewinne ging. Wir kamen gut miteinander aus, obwohl ich nie das Gefühl loswurde, dass sie Ted und mir misstraute und der Meinung war,
dass wir zu viele Vorteile aus unserem Vertrag mit Jason zogen. Jane war stets von höflicher, verbindlicher Freundlichkeit, zugleich aber deckte sie mit
penibler Genauigkeit die geringsten Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen auf. Ich spürte etwas Lauerndes, Kühles in ihrer Gegenwart. Aus ihren Worten
über Jasons Pläne sprach maßloser Ehrgeiz. Obwohl sie nach außen hin kaum in Erscheinung trat und für die wachsende Zahl der Atmas nur als bescheidene
Ehefrau an der Seite des Mahaguru galt, hielt sie die Fäden der Organisation fest in Händen. Ihr Einfluss auf Jason wuchs mit jedem Tag. Ich bin nicht
sicher, ob sie an Jason als spirituellen Meister glaubte, obwohl sie in Gesprächen nie auch nur den Hauch eines Zweifels daran aufkommen ließ. In jedem
Fall aber glaubte sie an Jason als einen Menschen, der das Zeug hatte, zu gewaltiger Macht aufzusteigen.
An einem Freitagnachmittag kam Ted auf einen Kaffee in meinem Büro vorbei. Er trug dieses zweideutige Lächeln auf den Lippen, mit dem er mich auf die
Folter zu spannen pflegte, wenn er etwas Interessantes mitzuteilen hatte.
„Na, was habe ich dir prophezeit? Howard Jason ist ein Renner,“ sagte er, als ich ihn fragend anschaute.
„Ehrlich gesagt, ich verstehe das Ganze nicht.“
„Wir haben einfach auf das richtige Pferd gesetzt.“
„Glaubst du, Jason hat wirklich übersinnliche Kräfte?“
Teds Lächeln wurde breiter.„Falls er welche hat, wird er sie bald dringend brauchen. Stell dir vor, Kevin King hat ihn in seine Talkshow eingeladen. Howard
Jason wird übernächste Woche zur besten Sendezeit in den Wohnzimmern Amerikas präsent sein.“
Die Nachricht machte mich sprachlos. Kevin King war zur damaligen Zeit der bekannteste Talkmaster des Landes. Seine Show, zur besten Sendezeit
ausgestrahlt, verzeichnete traumhafte Einschaltquoten. Berühmtheiten aller Art drängten sich, von ihm eingeladen zu werden, auch wenn sie Gefahr liefen,
von Kevins Lästerzunge vor den Augen der Nation gnadenlos seziert zu werden. Es gab zwei Möglichkeiten, von Kevin King aus dem Studio verabschiedet zu
werden – unter dem Hohngelächter des Studiopublikums und einem hämischen Abschiedswort des Moderators oder mit einem anerkennenden Händedruck des
allmächtigen King und dem brausenden Applaus der Anwesenden. Wer bei King bestand, hatte etwas wie einen Ritterschlag erhalten, wer versagte, war
öffentlicher Verspottung preisgegeben.
„Er wird ihn in Scheiben schneiden. Wir können die neue Auflage einstampfen lassen,“ sagte ich.
„Hast du den Prediger letzte Woche in seiner Show gesehen?“
„Nein.“
„Einer von diesen Evangelisten, die mit ihrem Jesusgebell Sportstadien füllen, Kranke heilen und Unmengen an Spenden zusammenraffen. King hat sein Team
gründlich recherchieren lassen und außerdem einen Detektiv auf ihn angesetzt. In der Sendung hat er ihn mit allerlei pikanten Dingen aus der Vergangenheit
konfrontiert – zuerst kleine Betrügereien mit Spendengeldern, dann Schmuddelgeschichten mit Minderjährigen und so weiter. Der Mann, der ansonsten predigt
wie ein Wasserfall und der angetreten war, um Kevin King samt allen Fernsehzuschauern zum wahren Glauben zu bekehren, schlich kleinlaut, wie ein
geprügelter Hund aus dem Studio. Vor zwei Tagen hat man ihn gefunden. Er hing im Keller seines Hauses.“
Ich griff zum Telefon und rief den Chef unserer Druckerei an.
„Lässt sich die Auflage von
Welten der Wahrheit
noch stoppen?“
„Nein. Der letzte Bogen wird gerade ausgedruckt. Alles planmäßig.“
Ich legte auf. Eine Weile schauten wir uns mit grimmigen Mienen an, dann brachen wir in Gelächter aus.
Als ich nach Hause fuhr, spürte ich befreite Beschwingtheit. Endlich würde dieser Spuk vorüber
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