Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Jason nur ein Hochstapler mit hypnotischem Charisma ist, so bewirkt die Liga letztendlich
doch Gutes, denn sie bringt sehr viele Menschen mit den Grundbegriffen spirituellen Denkens in Kontakt. Außerdem sind die Ziele der Liga gar nicht
schlecht: Toleranz, Freiheit, Selbstbefreiung, spirituelle Weltkultur. Wenn genug Leute an der Bewegung teilhaben, nützt sie sogar diesem kaputten
Planeten, denn ein guter Atma verschmutzt keine Flüsse, führt keine Kriege, ist nett zu Tieren und zieht jeden Tag frische Unterwäsche an. Solche
Saubermänner braucht unsere Zeit. Eine gute Sache also, diese Liga. Spirituelles Fast Food für die breite Öffentlichkeit. Die einzige Methode, heute noch
eine Massenreligion aufzuziehen und wirklich etwas zu bewegen. Wir müssen nur aufpassen, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Das betrachte ich als
meinen Job in dieser Organisation.“
Mit solchen Argumenten bauten wir wackelige Brücken über den Abgrund unserer Lebenslügen. Durch die Gewohnheit der Jahre arrangierten wir uns äußerst
bequem damit, denn vor allen Dingen wurden wir durch die Liga sehr, sehr reich.
Jason benannte auf diesem Seminar die ersten Lireps und stellte den versammelten Liga-Pionieren den inneren Kreis der Führerschaft vor. Betreten stand ich
neben Ted, Jane und Edith auf der kleinen Bühne. Jason berichtete den staunenden Liga-Pionieren, die uralten Adepten selbst hätten Ted und mich zu ihm
geführt. Ohne uns wäre all das nie möglich gewesen – das Erscheinen von
Welten der Wahrheit
, die Presseberichte, die Fernsehshow, die
professionelle Organisation. Ich spürte, wie die Anwesenden mich musterten, mich einschätzten, mich beurteilten, spürte, wie sie alle Vorbehalte ablegten,
da der Mahaguru selbst mich auserwählt hatte. Zum ersten Mal wurde mir die tiefe Ergebenheit bewusst, die Jason entgegenschlug. Sein Wort war Gesetz. Er
hätte jeden als organisatorischen Leiter und Verleger der Liga vorstellen können, jeder wäre akzeptiert worden. In der Pause drängten sich die Menschen um
mich, stellten sich vor, zeigten ihre freundlichsten Gesichter. Ab sofort war ich für sie eine wichtige Verbindung zum Meister, die es zu pflegen galt.
Auch Ted, der als Chef der Öffentlichkeitsarbeit vorgestellt wurde, genoss diese bevorzugte Behandlung. Edith wurde die persönliche Lektorin Jasons, Jane
die Leiterin des Liga-Büros. Dieses erste Seminar der Liga, das eigentlich nur eine Zusammenkunft der treuesten Anhänger Jasons war, war das einzige, auf
dem Ted und ich öffentlich auf einer Bühne in Erscheinung traten.
Auf diesem Seminar ließ sich Jason zu einem weiteren Widerspruch hinreißen – er machte das Mantra Hju, das er uns erst vor kurzem unter dem Siegel
strengster Verschwiegenheit anvertraut hatte, öffentlich. Seine Bekanntgabe bildete den Höhepunkt seines letzten Seminarvortrags, zu dem auch die
Öffentlichkeit zugelassen war. Dieser Vortrag war im
Star
und anderen esoterischen Blättern angekündigt und auch die lokale Presse berichtete über
den Auftritt des „Gottbesuchers“, der in der Kevin-King-Show berühmt geworden war. Der Ballsaal des Hotels vermochte die herandrängenden Menschen kaum zu
fassen. Nach einem kurzen einführenden Vortrag, den einer der Liga-Pioniere hielt, wusste Jason das Publikum in eine Spannung zu versetzen, die im Raum zu
vibrieren schien. Selbst jene, die nur aus Neugierde gekommen waren, um den Mann zu sehen, der für Aufsehen in den Medien gesorgt hatte, hingen gebannt an
seinen Lippen. Er spielte sein ganzes Charisma aus, seine rätselhafte Gabe, Menschen im Innersten zu berühren. Auch ich wurde bei diesem Vortrag einmal
mehr gepackt von Jasons Verführungskünsten. Lange sprach er über die uralten Adepten. Sie waren einst von einem anderen Planeten gekommen, um das Licht des
Bewusstseins auf die Erde zu bringen, denn sie waren für das spirituelle Wohlergehen aller Galaxien verantwortlich. Er, Howard Jason, sei der lebende
Mahaguru dieser kosmischen Bruderschaft, der Lichtträger geheimer Macht, eingeweiht in die höchsten Mysterien. Es klang wie eine grelle Mischung aus
Märchen und Science-Fiction, doch niemand im Saal lachte, keiner stand von seinem Sitz auf und verließ kopfschüttelnd den Raum, keiner warf eine
provozierende Frage dazwischen, alle saßen wie von der Schlange hypnotisierte Kaninchen. Jason begann über das geheime Wort der Uralten zu sprechen, über
das heilige Machtwort, dessen Klang das Universum
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