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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Selbstmitleid geht mir auf die Nerven!«
    Paul ging aufgeregt in der Küche auf und ab. Sophie sah aus, als wollte sie in Tränen ausbrechen.
    Paul beruhigte sich wieder, setzte sich neben Sophie an den Tisch, nahm ihre Hand und sagte leise und eindringlich: »Es tut mir leid. Ist mir so rausgerutscht.«
    »Aber du meint es so, oder?« Sophie zog ihre Hand zurück.
    »Nein, nicht so, wie du denkst. Aber ich glaube, August würde das alles nicht wollen«, sagte Paul so eindringlich wie zuvor. »Das ist nicht in seinem Sinne, verstehst du?«
    Sophie hob wieder die Schultern.
    »Du sollst leben, Sophie, nicht immer nur an den Tod denken. Davon wird August nicht wieder lebendig, und dir geht’s auch nicht besser.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Das sehe ich.«
    »Vielleicht will ich gar nicht, dass es mir gut geht.«
    Paul dachte nach. Auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten. Leise, beinahe flüsternd sagte er dann: »Aber es geht nicht nur um dich, Sophie.«
    »Um wen denn noch?«
    »Um mich«, sagte Paul noch leiser als zuvor und wurde einwenig rot. »Wenn es dir schlecht geht, kann es auch mir nicht gut gehen, verstehst du?«
    Sophie begriff nicht und schien erst einmal darüber nachdenken zu wollen, aber so lange wollte Paul nicht warten. Er stand auf, um die Küche zu verlassen.
    »Paul?«
    Er blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Dass ich dich liebe.«
    »Nein, Paul! Nie!«
    »Ob du’s willst oder nicht.«
    »Nie, Paul, nie!«
    »Das kannst du mir nicht verbieten!«
    Er verließ die Küche und knallte die Tür hinter sich zu. Dann stürmte er aus der Wohnung. Es war das erste Mal, dass er mich nicht mitnahm.
    * * *
    Von diesem Tag an veränderte sich Sophie. Zuerst langsam, fast unmerklich, dann immer schneller und immer mehr. Sie zog sich anders an und ging wieder aus. Sie interessierte sich wieder für andere Menschen und traf sich mit Freunden. Sie amüsierte sich wieder in Gesellschaft anderer, was vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre. Doch die Lebensumstände, in denen Paul und Sophie lebten, waren alles andere als erfreulich. Es herrschte Hunger und große Not. Die Straßen waren voller Kriegsinvaliden. Männer ohne Arme und Beine säumten die Bürgersteige und zeigten erschreckend, aber auch eindrucksvoll die Auswirkungen des seit fast vier Jahren andauernden Krieges.
    Sophie war immer seltener zu Hause, und Paul machte sich seine Gedanken.
    Einmal schlich er ihr nach. Ich weiß es, weil ich dabei war. Ich steckte in seiner Ledermappe. Er wartete, als er Sophie die Treppe herunterkommen hörte, versteckte sich unter dem Treppenabsatz und folgte ihr in sicherem Abstand, als sie das Haus verlassen hatte.
    * * *
    Paul wurde eingezogen. Nach einem Gesetz, das sich »Vaterländisches Hilfsdienstgesetz« nannte, konnten jetzt auch Jugendliche verpflichtet werden.
    Paul musste aber zum Glück nicht an die Front, er wurde in der Kriegswirtschaft eingesetzt und musste zehn Stunden am Tag Gasmasken zusammenschrauben, die im Krieg zum Einsatz kommen sollten.
    »Ich gehe da nicht mehr hin«, sagte Paul.
    Sophie redete ihm gut zu. »Besser hier in der Fabrik Gasmasken zusammenbauen, als an der Front vom Gas umgebracht werden.«
    Paul ließ sich überzeugen. Er wusste, dass er wahrscheinlich eingezogen und an die Front geschickt würde, wenn er sich widersetzte. Also stand er in aller Herrgottsfrühe auf, ging durch die kalte morgendliche Stadt in die Fabrik und kam erst am Abend nach Hause.
    * * *
    »Matrosenaufstand in Kiel!«, rief Paul. »Sophie! Jetzt ist der Krieg bald zu Ende!«
    Er saß wie hypnotisiert am Küchentisch. Vor ihm lag dieaufgeschlagene Zeitung. Er starrte auf die für ihn völlig überraschende Überschrift. »Ein Matrosenaufstand!«
    Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Freude. Er sprang vom Stuhl auf, rannte durch die Wohnung und riss die Tür zu Sophies Zimmer auf.
    »Sophie, der Krieg …«, begann er und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Hypnotisiert wie zuvor auf die Zeitung, starrte er nun auf das Bett. Unter dem Plumeau linsten vier nackte Füße hervor. Sogar ich konnte es von der Küche aus erkennen.
    Paul drehte sich um und kam zurück in die Küche.
    Hinter ihm tauchte jetzt Sophie auf, verschlafen, mit verstrubbelten Haaren und nur mit einem Bademantel bekleidet. »Es tut mir leid.« Sie wollte Paul eine Hand auf die Schulter legen, doch er drehte sich von ihr weg und hin zu mir.
    »Lass mich in Ruhe!«, rief er.

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