Der Pakt
Himmler gestürzt werden müssen.
Doch was Schellenberg wirklich aufstieß, war nicht nur Himmlers mangelnder Realitätssinn oder seine unerschütterliche, blinde Führertreue. Es war ebenso das offenkundige Zaudern des Reichsführers-SS. Auch jetzt noch wollte Himmler das Unternehmen Großer Sprung nur bis zum Absetzen des Sonderkommandos über dem Iran anlaufen lassen.
Der endgültige Befehl zur Tötung der Großen Drei sollte, sehr zu Schellenbergs Ärger, wenn überhaupt, erst in letzter Minute 310
erteilt werden. Am Tag vor seinem Abflug hatten er und Himmler noch darüber gestritten.
»Das ist ganz schön viel verlangt«, hatte er Himmler erklärt.
»Diese Männer über dem Iran abzusetzen und dann womöglich keine Verbindung mit ihnen halten zu können.«
»Trotzdem, das ist mein Befehl, Schellenberg. Solange sie keine eindeutige Order von mir oder dem Führer erhalten, ist die Mission nicht weiterzuführen. Ist das klar?«
»Es ist ein guter Plan«, insistierte Schellenberg. »Vielleicht der beste, den wir momentan haben.«
»Das ist Ihre Meinung. Wenn der Führer und ich Ihren Plan bis hierher gebilligt haben, dann nur, um uns alle Optionen offen zu halten.«
»Es ist eine ziemliche Zumutung für die Männer, unter Einsatz ihres Lebens so weit vorzudringen, nur für ein Unternehmen, das dann womöglich im letzten Moment abgeblasen wird.«
»Es sind SS-Leute. Sie haben mir und dem Führer Gehorsam geschworen. Sie werden also verdammt noch mal tun, was man ihnen befiehlt, und Sie auch.« Himmlers Augen verengten sich argwöhnisch. »Ich hoffe doch, es sind SS-Leute, Schellenberg.
Vierzehnte Waffen-SS-Grenadiere, Division Galizien, sagten Sie doch wohl. Ich sähe schwarz für Sie und Ihr gesamtes Unternehmen, wenn ich je herausfände, dass Ihr Kommando hauptsächlich aus Zeppelin-Freiwilligen bestünde, ukrainisch-nationalistischen Kadern. Ich vertraue darauf, dass Sie meine Posener Rede nicht vergessen haben.«
»Nein, Herr Reichsführer, natürlich nicht.«
Das war noch ein Grund, warum Himmler beseitigt werden musste, dachte Schellenberg: Diese ganzen ukrainischen Freiwilligen, die jetzt, abgesehen von einem Dutzend deutscher Offiziere und Unteroffiziere, das Sonderkommando bildeten.
Wenn das Unternehmen Großer Sprung erfolgreich verlief, würde kein Hahn mehr danach krähen, dass das Kommando in 311
Wirklichkeit nicht aus Deutschen bestanden hatte – kein Hahn in Deutschland jedenfalls. Wenn das Unternehmen allerdings scheiterte und Himmler jemals herausfand, woher diese Männer wirklich kamen, konnte das für ihn, Schellenberg, fatal sein.
Lina Heydrich war ganz seiner Meinung. Sie hasste Himmler noch mehr als ihren verstorbenen Gatten, zumal jetzt, da Schellenberg ihr erzählt hatte, dass er den Reichsführer im Verdacht hatte, bei der Ermordung ihres Mannes die Hand im Spiel gehabt zu haben. Es hatte Linas Hass nicht gerade gemildert, dass ihr zehnjähriger Sohn Klaus am 24. Oktober bei einem Verkehrsunfall in Prag ums Leben gekommen war. Der Junge war in der Toreinfahrt von Schloss Jungfern-Breschan von einem Lastwagen überrollt worden.
»Ich hatte Himmler geschrieben und ihn gebeten, Klaus von der Hitlerjugend zu befreien«, hatte sie gesagt, »wie wir damals besprochen haben, weißt du noch? Aber Himmler hat mir geantwortet, Klaus’ Vater hätte nicht gewollt, dass der Junge aus der Hitlerjugend austräte, also solle er drin bleiben. Deshalb war Klaus in Prag. Auf einer Fahrt mit der Hitlerjugend. Ich konnte Prag nie leiden, als Reinhard stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren war. Und Klaus hätte nie dorthin zurückkehren dürfen. Nicht nach dem, was seinem Vater in Prag zugestoßen ist. Ach, übrigens, ich habe ein paar Nachforschungen wegen Reinhards Tod angestellt. Du hattest Recht, Walter. Es war Himmlers Arzt, der Reinhard nach dem Attentat in Prag behandelt hat. Die Medikamente, die er ihm gegeben hat, waren noch in der Erprobung und hätten nicht verabreicht werden dürfen.«
Lina hasste Himmler so sehr, dass sie Schellenberg sogar einen Rat gegeben hatte, wie er ihn zu Fall bringen konnte.
»Du musst nach Rastenburg und mit Martin Bormann sprechen«, sagte sie. »Du musst ihm von Himmlers Geheimverhandlungen mit den Russen erzählen. Bormann wird schon wissen, wie man es dem Führer beweisen kann.«
312
Die Wärme, die Lina ihm gab, schien unendlich weit weg, jetzt, da er hier in der Kälte darauf wartete, dass es mit der Hinrichtung auf dem
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