Der Pakt
kannten die Wahrheit: Bormann und Kadow waren Rivalen um die Gunst einer Frau gewesen, noch dazu einer Jüdin.
Und Schellenberg wusste auch, auf welche Weise Bormann reich geworden war. Dass er als Verwalter der Adolf-Hitler-Spenden der deutschen Wirtschaft Millionensummen unterschlagen hatte. Schellenberg besaß sogar Beweise dafür, dass Bormann Geld aus den Tantiemen für das meistverkaufte Buch Deutschlands, Mein Kampf, abgezweigt hatte. Und nicht einmal Göring hatte es geschafft, so viele Kunstschätze aus besetzten osteuropäischen Ländern an sich zu bringen wie Bormann. In seinem Bürosafe in Berlin hatte Schellenberg einen Brief von Rahn & Bodmer, der ältesten Züricher Privatbank, aus dem der wahre Umfang des Bormann’schen Privatvermögens hervorging. Für Schellenberg war dies wie eine Versicherungspolice. Die paar Mal, die er mit Bormann zu tun gehabt hatte, war es ein angenehmes Gefühl gewesen, dass ihm Bormann, bei all seinem Einfluss, nicht viel anhaben konnte.
Schellenberg glaubte sogar erklären zu können, wie es Bormann geschafft hatte, sich beim Führer so unentbehrlich zu machen. In seinen Augen war der stiernackige, kontrollierende Bormann das, was der Vater der Bormann-Brüder gewesen war: ein Hauptfeldwebel. Hitler hatte es nur zum Gefreiten gebracht. So war es doch ganz natürlich, dass der Mann, mit dem er sich am wohlsten fühlte, zumindest vom Typ her, ein vorgesetzter Unteroffizier war.
»Und?«, fragte Bormann, während sie auf Sesseln am lodernden Kaminfeuer Platz nahmen. Im Gegensatz zu seinem 320
Chef hatte es Bormann gern schön warm. »Wie steht es an der Front?«
»Könnte besser stehen«, sagte Schellenberg. Eine gewaltige Untertreibung, wie er fand.
»Russen«, höhnte Bormann. »Die sind doch wie Ratten. Nicht auszurotten. Wie soll man einen Feind schlagen, der sich einen Dreck um seine Verluste schert. Es kommen immer wieder neue nach, was? Diese Untermenschen. Wie die Mongolenhorden.
Sie sind genau das Gegenteil von den Juden. Die Juden fallen wie die Mücken. Aber die Slawen sind da ein ganz anderer Schlag. Wissen Sie, Schellenberg, manchmal denke ich, wenn man die wahre Natur dieser Welt begreifen will, muss man an die Ostfront gehen. Das ist ein Kampf ums Überleben, wie bei Darwin, wenn Sie mich fragen. Wobei Ihr Chef da sicher nicht meiner Meinung wäre.«
Bormann schnaubte verächtlich. »Für Himmler ist diese Welt so eine Art Märchenland. Dieser ganze Quatsch mit der geistigen Welt und dem Buddhismus. Mein Gott, Schellenberg, wie halten Sie das nur aus?«
»Das ist genau das, Herr Reichsleiter, worüber ich mit Ihnen reden wollte. Himmler.«
»Wissen Sie, was Himmlers Problem ist. Er denkt zu viel. Und er ist Autodingsda. Einer, der sich alles selbst beigebracht hat.«
»Autodidakt.«
»Genau. Er hat zu viel krauses Zeug gelesen, das ist alles.
Bildung ohne echte Disziplin. Er ist der lebende Beweis dafür, dass Bildung gefährlich ist. Ich sage immer, jeder gebildete Mensch ist ein zukünftiger Feind. Ich für mein Teil tue mein Möglichstes, so zu leben und zu handeln, dass der Führer mit mir zufrieden ist. Ob ich das allerdings immer können werde, ist die Frage. Aber der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, sich vom Führer leiten zu lassen. Das zu lesen, was er liest.«
»Wie geht es dem Führer?«
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»Ach, wissen Sie, er ist immer ganz fröhlich. Im Ernst. Von Herzen fröhlich. Vor allem, wenn er mit seinen Freunden Tee trinkt oder mit seinen Hunden spielt. Man könnte meinen, er hätte keinerlei Sorgen. Schwer zu glauben, ich weiß, aber es stimmt. Na ja, Sie werden ja selbst sehen.«
Während er mit Schellenberg sprach, hielt Bormann ein kleines, schwarzes, ledergebundenes Notizbuch in der Hand.
Darin pflegte er sämtliche Wünsche und Befehle des Führers festzuhalten. Während der Mahlzeiten mit Hitler machte Bormann ständig Notizen, die dann für irgendeinen Offizier womöglich eine Zurechtweisung oder auch das Todesurteil bedeuteten. Nicht umsonst galt Bormann nach Hitler als der zweitmächtigste Mann in Deutschland. Schellenberg hatte bei seinen wenigen Begegnungen mit dem Führer den Eindruck gewonnen, dass Bormann mitunter auch Dinge als strikten Führerbefehl weitergab, die in Wirklichkeit nur beiläufige Bemerkungen bei Tisch gewesen waren – oder, schlimmer noch, Bormanns eigenen Vorstellungen und Interessen entsprangen.
»Aber«, sagte Bormann, »Sie wollten doch über Himmler reden?« Er klappte das Notizbuch auf und
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