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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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entnahm ihm einen Bleistift, der so stummelig war wie seine Finger. Wie ein Fleischer, der im Begriff war, die Bestellung einer Hausfrau zu notieren – dieses Bild hätte er lustig finden können, wäre ihm die Gefährlichkeit dessen, was er tat, nicht allzu bewusst gewesen.
    »Sie wissen ja sicher, dass ich derjenige war, der die Briefe des Führers nach Stockholm gebracht hat«, sagte Schellenberg.
    Bormann nickte.
    »Und dass ich einigermaßen im Bilde bin, worum es in diesen Briefen geht.«
    Bormann nickte wieder.
    »Aber vielleicht ist Ihnen ja nicht bekannt, dass Reichsführer Himmler ebenfalls bei den Alliierten vorfühlt, und zwar im 322

    Hinblick auf einen Machtwechsel. Im Anschluss an eine Besprechung im Reichsministerium des Inneren am 26. August reiste ein alter Bekannter Himmlers, Carl Langbehn, nach Bern, um sich mit Allen Dulles zu treffen, dem Leiter der dortigen Stelle des amerikanischen Geheimdienstes.«
    Jetzt endlich begann Bormann mitzuschreiben. »Ist das der Chiropraktiker?«
    »Nein, das ist jemand anders. Langbehn ist Rechtsanwalt. Ich glaube, seine Tochter geht mit Himmlers Tochter zur Schule, am Walchensee. Wie Sie sich vielleicht erinnern, war es Langbehn, der damals beim Reichstagsbrand den Kommunistenführer Ernst Torgier verteidigt hat. Jedenfalls habe ich einen Spion bei den Freien Franzosen in der Schweiz und bin, dank seiner, im Besitz der Kopie eines nach London gegangenen Telegramms. Darin steht, ich zitiere: ›Himmlers Anwalt bestätigt Hoffnungslosigkeit der militärischen und politischen Lage Deutschlands und ist gekommen, um Friedensfrage zu sondieren.‹ Natürlich werde ich Ihnen alle nötigen Beweisunterlagen für den Verrat des Reichsführers in dieser Angelegenheit zukommen lassen. Ich wollte nicht handeln, ehe ich mir ganz sicher war, verstehen Sie? Man stellt sich nicht gegen Himmler, ehe man sich ganz sicher ist.«
    »Sie waren sich doch genauso sicher, als Sie sich gegen Ribbentrop gestellt haben, oder?«, wandte Bormann ein. »Und Sie haben uns seinen Kopf bis heute nicht geliefert.«
    »Das stimmt. Aber es war Himmler, der ihm den Hals gerettet hat. Der Einzige, der Himmler den Hals retten kann, ist Hitler.«
    »Reden Sie weiter.«
    »Ich habe seit einer ganzen Weile den Eindruck, dass Himmler hofft, sich bei den Briten und Amerikanern eine Art persönliche Absolution erwirken zu können, indem er ihnen anbietet, die Macht zu übernehmen und Friedensverhandlungen zu führen, 323

    gleichzeitig aber den Krieg gegen die Sowjetunion fortzusetzen.«
    »Und wie stehen Sie dazu, Schellenberg? Zur Fortsetzung des Kriegs gegen die Sowjetunion?«
    »Irrsinn. Wir müssen um jeden Preis zu einem Frieden mit den Russen kommen. Meine Quellen sagen, Stalins größte Angst sei es, dass die Rote Armee wegen ihrer entsetzlichen Verluste meutern könnte. Wenn wir vor dem Frühjahr mit den Russen Frieden schließen, werden wir von den Briten und Amerikanern nichts zu befürchten haben. Sie würden es wohl kaum riskieren, eine zweite Front zu errichten, wenn Russland nicht mehr im Krieg wäre. Himmlers Pläne zeugen von völliger Unkenntnis der konkreten politischen Situation, Herr Reichsleiter. Nächstes Jahr hat Roosevelt Wahlen. Es wäre Selbstmord für ihn, in den Wahlkampf zu ziehen, während die amerikanische Armee, um Europa zu befreien, Verluste in der Größenordnung erleidet, wie es jetzt bei der Roten Armee der Fall ist. Was ihr jedoch blühen würde, wenn die Russen nicht mehr Kriegspartei wären.«
    Martin Bormann nickte immer noch, hatte aber das Mitschreiben eingestellt. Überhaupt war seine Reaktion nicht so, wie es Schellenberg erwartet hatte. Bormann hasste Himmler.
    Schellenberg hatte gedacht, er müsste hocherfreut sein, dass man ihm gerade die Mittel an die Hand gegeben hatte, seinen ärgsten Feind zu vernichten.

    Nicht minder verblüffend fand Schellenberg das Verhalten des Führers selbst. Beim Abendessen schien Hitler so guter Laune, dass Bormann ihm unmöglich von Himmlers Verrat erzählt haben konnte. Als Hitler aufstand, um den Kaffee im Wohnzimmer zu nehmen, schlüpfte Bormann auf eine schnelle Zigarette nach draußen. Schellenberg folgte ihm.
    »Haben Sie’s ihm gesagt?«
    »Ja«, sagte Bormann. »Habe ich.«
    324

    »Sind Sie sicher?«
    »Für wie vertrottelt halten Sie mich? Natürlich bin ich mir sicher.«
    »Dann verstehe ich gar nichts. Ich weiß doch noch, wie der Führer vor einem halben Jahr reagiert hat, in Winniza, als die Nachricht von einem

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