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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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dort bis zum frühen Abend in der Menge, übergab dann dem Sekretär sein Schreiben und kehrte nach Hause zurück.
    Jede Woche ging Noor Mohammed nun nach Kurkoo Kothi und erkundigte sich nach dem Gesuch. Aadil hatte sein Studium bereits aufgenommen, ohne neue Kleider und ohne Fahrrad, er verachtete sich selbst, weil er das Geld brauchte, und er verachtete seinen Vater, weil er darum bitten mußte. Zum Diwali erschien Nandan Prasad Yadav persönlich am Tor, und Noor Mohammed kam - endlich - mit hunderteins Rupien zurück. Und so schaffte Aadil es durch die zwei Jahre des Grundstudiums, dann durch die drei des Hauptstudiums bis zum Bachelor of Science in Zoologie, mit zusammenverdientem, -geschnorrtem und -gebetteltem Geld und einem Rattenschwanz von Schulden. Die Zoologie war sein Trost. In dem Wunder zweier dünner DNA-Stränge im unendlich kleinen Raum einer einzelnen Zelle konnte er sich völlig verlieren. Aadil betete, er war gläubig, doch wahren Balsam, Trost, Heilung und Allahs Liebe verspürte er nur, wenn er die Schönheit von Stämmen und Gattungen betrachtete, wenn er Fotos von Phagozytosen und Pinozytosen studierte. Fünf Jahre verstrichen, fünf harte Jahre, lang und doch wie im Flug vorbei. Für Aadil stand fest, daß er mit der Zoologie weitermachen mußte, auf den Bachelor mußte nun noch der Master of Science folgen. In Rajpur war das allerdings nicht möglich, weder in Zoologie noch in irgendeinem anderen Fach. An der sechzig Kilometer entfernten Nav Naketan University gab es zwar ein Zoologisches Institut, doch Aadil zog es nach Patna. Die Stadt war sehr weit entfernt, aber genau das wollte Aadil. Er mußte weg von Rajpur, und er stellte sich Patna als ein weitverzweigtes Netz hell erleuchteter Boulevards vor, eine Oase der Anonymität, in der niemand ihn oder seine Familie kannte. Daß er in Patna einen Studienplatz bekommen würde, bezweifelte er nicht. Er hatte hart gearbeitet, und seine Professoren waren mit ihm zufrieden. Er hatte die ganzen Jahre zwar keine hervorragenden, aber doch sehr passable Noten erzielt. Das Problem war wie immer das Geld. Woher sollten sie kommen, die zweihundert, vielleicht auch zweihundertfünfzig Rupien im Monat, die das Leben und Studieren in Patna kosten würde? Stipendien standen ihm nicht zu, keine hochgestellten Bekannten würden ihren Einfluß geltend machen, um die Finanzierung seines Studiums durch das Patna Science College zu ermöglichen, kein Politiker würde ihm eine Ausbildung schenken. Aadil würde ganz allein zurechtkommen müssen.
    Er ging zu Maqbool Khan. »Machen Sie mich zum Fahrer«, sagte er.
    Doch nun glaubte Maqbool Khan plötzlich die Würde von Aadils Bildung verteidigen zu müssen. »Wie kann ein gebildeter Junge wie du als Fahrer arbeiten?« fragte er. »Warum gibst du nicht Nachhilfestunden oder so?«
    »Die Hindus lassen mich ihre Kinder nicht unterrichten«, sagte Aadil. »Und Muslime gibt es in Rajpur nicht genug, jedenfalls nicht solche, die zahlen können.«
    Maqbool Khan kratzte sich nachdenklich die Brust. »Was ich brauche, ist ein Assistent. Ich kann die ganzen Zahlen nicht im Kopf behalten. Du bist ein ehrlicher Mensch, du könntest mir bei meinen Geldangelegenheiten helfen.« Aadil aber wollte wissen, wer mehr verdiene, ein Lastwagenfahrer oder ein Zahlen addierender Assistent. »So einfach ist das nicht«, sagte Maqbool Khan. »Du mußt erst eine Lehre machen, als Autowäschen Erst später verdienst du dann mehr.«
    »Dann werde ich Autowäscher«, sagte Aadil nur. »Wann kann ich anfangen?«
    Und so kam Rajpur in den Genuß eines ganz neuen Schauspiels: der große, gescheite Dibba beim Lastwagenwaschen. Einen Tag nachdem er seinen Bachelor gemacht hatte, fing er bei Maqbool Khan an. »Are, was habt ihr anderes erwartet?« sagten die Besserwisser auf dem Bazaar. »Noors Sohn - habt ihr geglaubt, der wird Ministerpräsident?«
    Aadil trug seine neue Uniform aus Schmutz und Ol mit Gleichmut. Seine Eltern aber waren untröstlich, und er mußte sie davon überzeugen, daß diese Arbeit nur eine vorübergehende Sache war. Bildung, so schien es, verdarb den Menschen für die Arbeit mit den Händen. Aadil wurde manchmal selbst von Widerwillen gepackt, aber dann sagte er sich, daß auch diese Tätigkeit eine Art Bildung sei. Maqbool Khans Lastwagen befuhren regelmäßig die Straßen im Umkreis von Rajpur, und Aadil lernte auf Hunderten von Kilometern alles ringsum kennen. Er fuhr mit, wenn Kiesladungen geliefert und auf dem Rückweg

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