Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Jeremy verdrängte die Erinnerung an den alten Brummbär, der ihn nie zur Kenntnis genommen hatte. »Der Laden war toll, Mrs. DePaul, und Ihr Vater hat großen Eindruck gemacht. Wann ist er gestorben?«
    »Vor etwas mehr als einem Monat. Er hatte vor einigen Jahren Kehlkopfkrebs gehabt – er hat früher nonstop Pfeife geraucht. Man hat den größten Teil seines Gaumens entfernt und seine Stimmbänder beschädigt, aber er hat die Krankheit besiegt. Dann begann sein Herz Probleme zu machen, und wir wussten, dass es nur noch eine Frage der Zeit war. Mein Mann und ich wollten, dass er zu uns zieht, aber er weigerte sich, bestand darauf, in der Nähe des Antiquariats zu bleiben.«
    Eine Gaumenoperation. Jeremy hatte die Schweigsamkeit des dicken Mannes einer grundsätzlichen Verdrießlichkeit zugeschrieben.
    Bei meiner Trefferquote sollte ich aufhören, Vermutungen anzustellen.
    Wenn Renfrew vor einem Monat gestorben war, war das kurz nach Jeremys letztem Besuch geschehen.
    Der Mann war todkrank gewesen und hatte es nicht zu erkennen gegeben.
    Shirley DePauls Lächeln wurde schwächer, und Tränen traten in ihre Augen. Das Grün ihrer Iris wurde durch das Kostüm noch tiefer. Einfach umwerfend. Keine wirklich schöne Frau, aber Jeremy war sicher, dass sie sich nie über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen musste.
    »Ich habe gehofft, dass es genauso kommt, wie es dann gekommen ist. Dad kam an einem Montag in den Laden, setzte sich hin, brühte sich seinen Ersatzkaffee auf und trank ihn, legte seinen Kopf auf den Tisch und wachte nicht mehr auf. Er hätte kein besseres Drehbuch schreiben können: inmitten der Bücher zu sterben, die er liebte.«
    Als Jeremy zum letzten Mal hier gewesen war, hatte er Arthur getroffen, der ein Buch über Kriegsstrategie in der Hand gehabt hatte. Zwei Wochen später war Arthur in seinem Büro aufgetaucht und hatte seinen Charme spielen lassen. Als alter Kunde – jemand, der Renfrews Namen kannte – hätte er vom Tod des Buchhändlers wissen müssen. Aber er hatte kein Wort darüber verloren.
    »Er hat nicht gelitten«, sagte er.
    »Ein Segen. Ganz wie sein Leben.« Shirley DePauls neuerliches Lächeln flackerte und verblasste. »Zum größten Teil jedenfalls.« Sie holte tief Luft und warf einen Blick auf ihren Besen. »Dad liebte alles, was mit dem Buchhandel zu tun hatte. Ich war ein Einzelkind, aber nicht wirklich. Dieser Laden war Dads zweites Kind. Es gab Zeiten, da hab ich ihn als übermächtigen Rivalen empfunden.« Ein hoher Absatz tippte auf das Linoleum. »Das Haus ist verkauft worden. Eine Wohnungsbaufirma. Sie haben eine Woche nach Dads Tod angerufen. Die Geier, hab ich gesagt, sie sehen vermutlich die Todesanzeigen durch. Aber mein Mann sagte: Warum sprichst du nicht mit ihnen, was wollen wir mit dem Haus? Er ist Zahnarzt, äußerst praktisch veranlagt. Wir haben sechs Kinder, und ich habe kaum Zeit zum Atmen. Wir leben ziemlich weit draußen, jenseits der County-Grenze, es wäre einfach nicht vernünftig gewesen. Also haben wir verkauft, sie haben uns einen guten Preis gemacht. Sie werden es zweifellos niederreißen und irgendwas Monströses hochziehen, aber es geht ja nicht um die Bausubstanz, nicht wahr? Dad hat seine Seele in dieses Geschäft gesteckt, und jetzt ruht er sich woanders aus.«
    »Definitiv«, sagte Jeremy. »Was ist mit den Büchern passiert?«
    »Die sind alle verkauft worden.«
    »Hat es eine Versteigerung gegeben? Ich hätte versucht, ein paar zu kaufen.«
    »Es war kein öffentlicher Verkauf, Dr. Carrier. Sie sind alle an einen Käufer gegangen.«
    »An wen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht sagen – irgendwelche steuerlichen Gesichtspunkte spielen da eine Rolle. Es ist am besten so; ich glaube, sie sind dort gut aufgehoben. Zumindest hoffe ich es.« Sie wischte sich über einen Augenwinkel. »Jedenfalls mache ich hier besser weiter. Obwohl – um die Wahrheit zu sagen – ich gar nicht weiß, warum ich hier sauber mache, weil sie es ohnehin abreißen werden.«
    Sie ging zu dem Besen zurück, schritt anmutig in eine andere Ecke und begann erneut den Boden zu fegen.
    Sie kehrte zunehmend kräftiger.
Wuusch, wuusch.
Peitschte den Linoleumboden.
    Jeremy drehte sich um und trat hinaus in den prasselnden Regen.

30
    Als er wieder im Krankenhaus ankam, sah er aus wie ein halb ertrunkener Hund. Benutzte einen unbewachten Hintereingang, der ihn an Versorgungsräumen vorbei und eine Treppe hinauf in die Eingangshalle führte.
    An der Marmorwand

Weitere Kostenlose Bücher