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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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hatte das Gefühl, dass sich alle, die er in seinem Leben umgebracht oder betrogen hatte, am hinteren Teil des Gefährts versammelt hatten und ihn direkt in die Hölle schieben wollten.
    »Kruzifix aber auch! Wenn’s bergab geht, schieben alle Teufel! Bergauf würde dir kein einziger Heiliger helfen, wenn du ihn rufen würdest«, fluchte ausgerechnet derjenige, der niemals einen Heiligen anrufen würde.
    Zu seinem Leidwesen merkte er jetzt, dass das Gerangel mit Lodewig auch an seinen Kräften gezehrt hatte. Nur mühsam kam er vorwärts.
    »Verdammte Scheiße«, schrie er und stützte sich mit aller Kraft gegen den immer stärker nach unten schiebenden Karren.
    Aber Ruland Berging schaffte es nicht mehr, der Schwerkraft Herr zu werden. Wenn er nicht verletzt werden oder gar sein Leben riskieren wollte, musste er jetzt besonnen, und vor allen Dingen blitzschnell, handeln. Als das Gefährt endgültig aus der Spur zu rutschen drohte, nahm er schlagartig seine Hände von den Griffen. Es gelang ihm gerade noch, die Arme einzuziehen und sich kerzengerade unter den Karren, der jetzt mit Gepolter über ihn hinwegsauste, zu werfen.
    Dass er dabei das Glück gehabt hatte, genügend Platz zwischen den großen Scheibenrädern zu haben, und er sich bei seinem Rettungsversuch lediglich die Stirn angeschlagen hatte, versöhnte ihn nicht mit seiner Situation. Hastig versuchte er aufzustehen, schlug aber immer wieder auf den mittlerweile eisglatten Boden. Sein Vorhaben, dem Gefährt nachzurennen, um es doch noch irgendwie aufzuhalten, musste er so schnell aufgeben, wie ihm der dumme Gedanke gekommen war. Durch die Dunkelheit und das Schneegestöber bekam er nur noch vage mit, wie es bei der nächsten Kurve krachte und etwas in hohem Bogen in eine Wiese geschleudert wurde. Der Karren überschlug sich ein paar Mal, kam aber wieder auf die stabilen Räder und raste weiter den steilen Buckel hinunter.
    »Verdammt! Hätte ich doch nur nicht diese verflixte Abkürzung genommen«, fluchte der Totengräber, als er endlich wieder einigermaßen fest auf seinen Beinen stand.
    Während er sich seitlich weiter den rutschigen Hang hinuntermühte und dabei die Hacken in den leicht verschneiten, stellenweise matschigen oder vereisten Boden schlug, versuchte sein Blick, sich durch die dunkle Wand zu bohren. Hastig schnaufend arbeitete er sich mühsam nach unten, fiel aber schon wieder auf den Boden und rutschte das steile Stück so weit hinunter, bis er unsanft gegen die Trümmer seines Leichenkarrens knallte und eine Zeit lang benommen liegen blieb. Als er sich endlich wieder aufgerappelt hatte und merkte, dass seine Blessuren zwar schmerzten, sich aber in erträglichen Grenzen hielten, stellte er fest, dass nicht nur der Karren in seine Einzelteile zerlegt war, sondern auch noch die Ladung fehlte. Der Entführer überlegte, was er tun sollte, und entschloss sich dazu, als Erstes die jetzt unbrauchbaren Holzteile des Karrens über eine kleine Kuppe in die Wiese zu verfrachten, damit man sie nicht so schnell finden würde. Dabei hoffte er jetzt auf das, was ihm bisher das Leben schwer gemacht hatte: auf möglichst viel Schnee, der die Holztrümmer bedecken würde.
    Als er mit seiner Arbeit fertig war, hangelte er sich auf allen Vieren den steilen Buckel so weit hinauf, bis er glaubte, an der Stelle zu sein, an der vorher etwas durch die Luft geflogen war. Er ging davon aus, dass dies nur Lodewig gewesen sein konnte.
    Dort muss der Bursche irgendwo liegen, dachte er, fand ihn aber trotz fieberhafter Suche nicht. Fluchend durchsuchte er das ganze umliegende Areal.
    Dummerweise hatte es noch nicht so viel geschneit, dass der Schnee auf dem kaum hinreichend gefrorenen Boden liegen geblieben wäre.
    Dieser lästige Arsch hätte sowieso keine Spur hinterlassen, weil es ihn durch die Luft vom Wagen in die Wiese gewirbelt hat. Was mach ich also hier?, überlegte er, suchte dennoch weiter.
    Aber keine Spur von Lodewig. Der Totengräber dachte darüber nach, was zu tun wäre. Einerseits wollte er den Burschen noch etwas leiden lassen, weil der ihm über einen langen Zeitraum hinweg den Schlaf geraubt hatte. Andererseits wäre es ihm scheißegal, wenn Lodewig bei lebendigem Leibe einschneien und dabei erfrieren würde, … falls er den Sturz überhaupt schadlos überstanden hatte. Ruland Berging blickte kritisch in den Nachthimmel.
    Wenn mit diesem Schneesturm der Winter Einzug hält, ist alles in Ordnung, dann brauche ich mich nicht mehr um ihn zu kümmern.

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