Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
hatte, eine ganz bestimmte Straße entlangzugehen, bis hin zu dem von einem Nâaga provozierten Handgemenge, das die Aufmerksamkeit der Wachen ablenkte, als Enain-Cassart ermordet wurde. Hinzu kam Violas Lavendelparfum, das ihn an seine Geliebte erinnerte.
»Nein. Es kann nicht nur um Rache gehen«, beantwortete er seine eigene Frage. »Ich habt auch nach dem Schwert gesucht. Es ging nicht nur um Azdeki.«
Versonnen wandte sie den Blick ab. Und dann begann sie zu sprechen.
»Es geht hier nicht um Rache, Hauptmann«, sagte eine schwache Stimme. »Es ist eine Frage des Glaubens. Eures Glaubens.«
»Ich bin Ratsherr«, entgegnete Azdeki schneidend.
Er trat einen Schritt auf das Gitter zu und musterte den Gefangenen mit hochmütigem Blick. Eine Hand hielt er am Schwertgriff. Seine Ratsherrentoga hatte er gegen militärischere Kleidung eingetauscht und trug hohe Stiefel zum leichten Lederwams. Der alte Mann in der düsteren Zelle war mit einem schmutzigen Überwurf bekleidet. Er blieb sitzen und stemmte die nackten Füße in die feuchte Erde. Früher einmal hatte er seidig glänzendes, schneeweißes Haar gehabt, jetzt waren ihm davon nur noch wenige Strähnen geblieben, die vor Schmutz starrten.
»Vergesst nicht, was ich getan habe«, fuhr Azdeki drohend fort. »Vergesst es nie!«
»Wie sollte ich?«, lächelte der alte Mann traurig. »Ihr habt mein Geschlecht ausgelöscht, indem Ihr unser Vertrauen missbraucht habt. Berauscht Euch ruhig an Euren Erfolgen. Für mich aber bleibt Ihr nichts weiter als ein – Hauptmann.«
»Ratsherr!«, schrie Azdeki und rüttelte zornig an den Gitterstäben. Sein Gesicht war bleich und wutverzerrt. Schließlich nickte er, ließ los, fuhr sich mit einer Hand durch das ergraute Haar und atmete tief durch.
»Ich weiß genau, dass Ihr etwas damit zu tun habt. Zwar kann ich mir nicht erklären, wie Ihr es angestellt habt, aber Ihr seid für all diese Dinge verantwortlich«, sagte er atemlos. »Warum wäre sonst plötzlich Logrid wieder aufgetaucht? Sagt es mir, Anvelin …«
»… Evgueni Reyes«, seufzte Dun ungläubig.
»Er hält ihn im Kerker des Palatio gefangen«, nickte Viola.
Nervös fuhr sich Dun mit der Hand über das Gesicht. Der Bischof von Emeris. Der Onkel des letzten Kaisers. Der Mann hatte ihm früher einmal zunächst geholfen, ihn aber dann verraten. Wie alle anderen. Als er sich den Greis in einer schäbigen Zelle vorstellte, wo er tausend Qualen erlitt, schwankte er zwischen Wut und Zufriedenheit. Darüber vergaß er fast, Viola weiter auszufragen.
»Dun-Cadal?«
Ein wenig verwirrt begegnete er ihrem Blick. Sie erschien ihm erstaunlich heiter, und wieder einmal beruhigte ihn ihr Anblick. Ihre sanften Augen senkten sich in seine.
»Aber warum?«, fragte er schließlich.
»Vielleicht, um ein Exempel zu statuieren?«
Anvelin stand schließlich doch auf. Mit zittrigen Händen hangelte er sich an der Kerkermauer entlang bis zu dem Gitter, das ihn von Azdeki trennte. Er klammerte sich an das Gitter und musterte den ehemaligen Hauptmann mit dem durchdringenden Blick seiner klaren blauen Augen. Trotz seiner Erschöpfung verzog er das Gesicht.
»Ihr habt Angst, Azdeki. O ja, sie sind hier. Die Geister des von Euch verratenen Kaiserreichs und des Glaubens, den Ihr hinter Euch gelassen habt, sind hier. Alles steht geschrieben, Azdeki. Ihr könnt Eurem Schicksal nicht entfliehen.«
»Ich fürchte mich weder vor Geistern noch vor Gespenstern«, antwortete der Ratsherr ruhig und näherte sein Gesicht dem Gitter. »Ebenso wenig wie vor Euren Worten. Ihr habt das Heilige Buch nie respektiert und den Fangol-Orden verraten, weil Euch die Interessen Eurer Familie wichtiger waren. Was jedoch geschrieben steht, Anvelin, ist der traurige Sturz Eures Neffen und die Ausrufung meiner Republik. Bald dürft Ihr Euch selbst ein Bild machen.«
»Was hat er gewusst, Viola?«
Ungeduldig sprang Dun auf. Ihm war klar, dass er plötzlich vieles entdeckte, das ihm in seinem früheren Leben verborgen geblieben war – in jenem Leben, als er sich vermeintlich ruhmreich, mächtig und stolz dem Dienst eines ewigen Kaiserreichs verschrieben hatte.
»Was wusste der Bischof?«
Er betrachtete Viola von oben herab. Die junge Frau blieb sitzen, faltete die Hände im Schoß und blickte ins Leere.
»Er wusste vom Besitz Oratio von Usters in den Salinen«, gestand sie schließlich leise. »Der Besitz, dessentwegen sich die Azdekis gegen ihn wandten, ehe sie auch dem Kaiser die Treue
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