Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
angstvollen Ausdruck in Michelles Miene sah, beschloss sie, es lieber nicht zu tun. Und zwar nicht, weil ihre Neuigkeiten nicht mindestens genauso schlecht waren, sondern weil Michelle einfach nicht in der Lage zu sein schien, irgendetwas anderes aufzunehmen.
Just in dem Moment, als Anna zur Vorlesestunde nach Butterfield hinauffahren wollte, fiel ihr auf, dass sie ihr Handy zu Hause liegen gelassen hatte. Deswegen fuhr sie schnell zurück, um es zu holen. Mit an Bord war Tarvish, um den alten Leuten seinen wöchentlichen Besuch abzustatten.
Tarvish wartete geduldig im Auto, während sie in die Küche stürzte, um das Handy zu suchen. Dort stieß sie allerdings auf Becca, die vor dem offenen Kühlschrank stand, Mascarpone direkt aus dem Becher löffelte und währenddessen nach weiteren Lebensmitteln suchte, nach denen ihr der Sinn stand – ohne sich Gedanken über die Kälte zu machen, die aus dem Kühlschrank strömte.
»Oh, du bist das gewesen«, stellte Anna fest. »Jetzt bin ich doch erleichtert. Ich hatte schon befürchtet, dass Chloe irgendeine Essstörung entwickelt hätte.«
Becca sah sie schuldbewusst an. »Wie bist du auf diese Idee gekommen?«
»Der Kühlschrank war immer leer, und ich wusste, dass es weder an Lily, eurem Dad oder mir lag. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass du es bist, da du sonst nur Hüttenkäse isst; deswegen hatte ich Chloe schon in Verdacht. Aber sie hat nicht zugenommen, deswegen …« Anna hielt inne. Es hatte keinen Sinn, jemandem zu verraten, dass sie wie eine Besessene nach Bulimie-Symptomen gegoogelt und immer mehr Schuldgefühle aufgebaut hatte. Sie hatte zwischenzeitlich schon Angst gehabt, Chloe könnte in einem Therapiezentrum landen und Anna beschuldigen, ihre Hilfeschreie übersehen zu haben. »Mir macht es nichts aus, wenn du mehr isst. Ich fand es nur komisch, dass niemand es zugeben wollte – da habe ich mich schon gefragt, ob ich langsam verrückt werde und unausgepackte Einkaufstaschen hinter dem Sofa oder anderswo verrotten lasse.«
Becca starrte auf den Mascarponebecher hinunter. »Tut mir leid. Das hatte ich nicht bedacht.«
»Über solche Dinge wirst du noch früh genug nachdenken, wenn du einmal deinen eigenen Kühlschrank füllen musst«, entgegnete Anna. »Hast du einen Stift parat, um den Stand in der Orangensaftflasche zu markieren? Möchtest du eine eigene, abschließbare Lebensmitteldose haben? Das können wir alles gern einrichten.«
»Ich werde mir Lilys borgen.«
Lily hatte eine Internatsphase hinter sich, nachdem sie Dolly gelesen hatte; das Ergebnis waren eine Lebensmitteldose, ein Waschsack aus Flanell und zwei Flaschen Ingwerlimonade, die wohl noch jahrelang im Kühlschrank stehen würden, da alle sie hassten.
Becca zögerte kurz, fuhr dann aber fort, den Mascarpone zu essen. Dabei löffelte sie ihn fast mechanisch in sich hinein, als würde sie ihn nicht einmal schmecken.
»Das ist jetzt aber kein Frustessen, weil du unglücklich bist, oder?«, fragte Anna aus der paranoiden Angst heraus, dass Becca die eisige Stimmung zwischen ihr und Phil bemerkt haben könnte. »Das würdest du mir dann doch sagen, oder? Es ist immer besser, über Dinge zu reden. So was darf man nicht in sich hineinfressen.«
»Ich möchte niemandem mit meinen Sorgen zur Last fallen.«
»Aber das tust du doch gar nicht! Ich würde mir vielmehr Sorgen machen, wenn du nichts sagen würdest!«, protestierte Anna. »Ich werde dich vermissen, weißt du? Immerhin bist du die einzig Vernünftige hier. Weder trällerst du alles vor dich hin, noch bringst du deine innersten Gedanken durch ein Veloursschwein zum Ausdruck.«
»Ich werde dich auch vermissen«, erwiderte Becca. »Ich kann auch hierbleiben, wenn du möchtest.«
»Nein, du musst nach Cambridge gehen«, schüttelte Anna den Kopf. »Dafür hast du hart gearbeitet und dir diese Chance wirklich verdient.«
Becca starrte sie mit großen Augen an, in denen schon Tränen glänzten. »Anna …«
Anna wartete nicht erst darauf, dass Becca weiterredete. Sie breitete einfach nur die Arme aus und zog Becca zu einer großen Umarmung an sich heran.
»Alles wird gut«, tröstete sie Becca und strich ihr über das Haar. »Und du weißt, du kannst jederzeit nach Hause kommen. Das hat mein Dad mir auch gesagt, als er mich nach Manchester gefahren hat. ›Wenn es zu schlimm wird und du es dort nicht mehr aushältst, dann kannst du jederzeit zu uns zurückkommen.‹ Und weißt du was? Schon am dritten Abend habe ich
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