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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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›Description de l’Egypte‹ beteiligt. Ich habe jederzeit Zugriff auf die Zeichnungen der ägyptischen Kommission sowie auf allerlei alte Papyri. Ich weiß nur nicht, was Sie mit diesen Schriften anfangen können, denn im Gegensatz zum Stein von Rosette sind sie ohne griechische Übersetzung auf uns gekommen.«
    »Das weiß ich auch nicht«, seufzte Jean-François. »Ich fühle mich den Hieroglyphen ohnehin noch nicht gewachsen, aber ich werde alle Inschriften sammeln, kopieren und archivieren. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich weiß, wofür.«
    Die Kaminuhr begann zu schlagen. Denon warf einen kurzen Blick auf das Zifferblatt und erhob sich. »Es war mir ein großes Vergnügen, mit einem so gescheiten jungen Mann zu plaudern«, sagte er, »aber nun muß ich das Gespräch leider beenden. Mich rufen Verpflichtungen. Ich hoffe, wir können es ein andermal fortsetzen.«
    »Mit größtem Vergnügen«, antwortete Jean-François. »Ich danke Ihnen vielmals, daß Sie soviel Zeit für mich hatten.«
    »Sie können mich gern nächste Woche, oder wann immerSie wollen, im Louvre besuchen kommen. Fragen Sie sich durch, man weiß im allgemeinen, wo ich mich gerade aufhalte.«

16
    Dom Raphaël, der koptische Mönch, den Jean-François in der Nationalbibliothek kennengelernt hatte, war von kleinem Wuchs, schmal und knochig; sein wolliges Haar war früh dünn geworden und ergraut. Mit seinen schmalen Augen, den hervorstehenden Backenknochen und dem platten, etwas zu weit von der Nase entfernten Mund entsprach er genau jener Physiognomie, wie man sie einem Vertreter seines raren Geblüts als typisch zuschrieb. Der Kopte, der Gefallen daran fand, daß sich ein französischer Student so nachdrücklich für seine Vorfahren interessierte, lebte in einer etwas düsteren Wohnung in der Rue de Pavé. Dort hauste er wie ein Eremit, in zwei zwar großen, aber karg möblierten Zimmern, deren einzige Zierde eine Andachts- und Gebetsnische bildete, wo er einen kleinen Altar aufgebaut hatte, bestehend aus einem Pult mit aufgeschlagener Heiliger Schrift, zwei Kerzenständern und einem Kruzifix – Dom Raphaël war ein sehr frommer Mensch. Er sprach arabisch und ein merkwürdig akzentuiertes Französisch. In der Mundart seiner Vorfahren war er wenig heimisch, ungefähr wie ein durchschnittlicher europäischer Gottesdienstbesucher im Kirchenlatein. Dem Mönch wäre es ohnehin absurd erschienen, in einer Sprache, die ausschließlich noch religiösen Zwecken vorbehalten war, Konversation zu treiben. Aber der Student konnte mit Dom Raphaël über das Koptische sprechen, und das war mehr, als alle anderen Parisbewohner zu bieten hatten.
    Trotz seines christlichen Bekenntnisses und seiner Zugehörigkeit zu einer im Morgenland verpönten Volksgruppe unterhielt Dom Raphaël Verbindungen zu den Pariser Exil-Orientalen. Dort hatte er auch Halil Efendi Mahmud kennengelernt. Da sich nun herausstellte, daß die beiden Männer in Jean-François einen gemeinsamen Bekannten besaßen, traf man sich gelegentlich zu dritt, meist in der Wohnung desMuslims, dessen überraschende Toleranz einem ägyptischen Christen gegenüber wohl daraus resultierte, daß dieser im Frankenland seine Heimatsprache unterrichtete.
    Jean-François genoß es, sich stundenlang mit den beiden Orientalen auf Arabisch zu unterhalten, und er wurde nicht müde, sie nach dem Land seiner Träume zu befragen. Freilich teilten weder Halil Efendi Mahmud noch Dom Raphaël seine Begeisterung für die Kultur des heidnischen Pharaonenvolkes, dessen gewaltige architektonische Überbleibsel ihnen seit Kindertagen so vertraut, selbstverständlich und gleichgültig waren wie Naturphänomene: Sie existierten eben und hatten schon immer existiert, seit Menschengedenken, aber man konnte nichts mit diesen gigantisch-unnützen Ruinen anfangen. Nur auf eine Reihe wunderlicher Europäer übten sie eine seltsame Faszination aus.
    »Ich verstehe Euch nicht«, sagte Jean-François dann, »allein die schiere Dauer dieses Reiches, sein Ewigkeiten einschließendes Dasein, erfüllt mich mit einem Gefühl der Erhabenheit.«
    »Allah ist ewig«, erwiderte Halil Efendi Mahmud, und Jean-François verzog das Gesicht. Dom Raphaël tröstete ihn, indem er ein altes arabisches Sprichwort zitierte: »Alles fürchtet die Zeit, nur die Pyramiden lachen über sie.«
    Zugleich beneidete der Student die beiden darum, daß sie mit eigenen Augen gesehen hatten, wonach sein Geist sich verzehrte. Wie die Dinge standen, würde

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