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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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sie sich dem Zeilenanfang zuwandten. Auf den Rosette-Stein bezogen, bedeutete dies, daß die Inschrift von rechts nach links – also den europäischen Gepflogenheiten entgegengesetzt – verlief.
    Mechanisch übertrug der Student die Hieroglyphen von Denons Skizzen in seine Kladden. Wenn ihm ein Zeichen begegnete, das er noch nicht kannte, ergänzte er es außerdem in sein Hieroglyphen-Verzeichnis. Namensringe sowie Zeichenkombinationen, die oft auftauchten, notierte er noch einmal gesondert. Während seine Hände mechanisch Zeichen auf Zeichen kopierten, stieg die Namenskartusche des Ptolemaios vor seinem geistigen Auge auf:

    Das beherrschende Motiv in dieser Zeichengruppe war der Löwe. Auf koptisch hieß Löwe laboi . Handelte es sich um eine Lautschrift, könnte der Löwe für den Buchstaben L stehen, wie etwa im Hebräischen das Zeichen beth Haus hieß, in seiner viereckigen Form auch einen primitiven Hausgrundriß darstellte und gleichzeitig den Buchstaben B verkörperte. Der vierte Buchstabe im Namen Ptolemaios war ein L, und der Löwe stand an vierter Stelle im Namensring des Pharao, egal ob man die Zeichen von rechts oder links las. Allerdings bestand das Wort Ptolemaios aus zehn Buchstaben, im Namensring standen aber nur acht Hieroglyphen. Hing es mit der in den orientalischen Sprachen gebräuchlichen Vokalunterdrückung zusammen? Ohne Vokale schrieb sich Ptolemaios Ptlms – statt acht blieben fünf Zeichen übrig. Und warum erschien das vorletzte, das wie ein Schilfblatt aussah, doppelt? Im Namen Ptolemaios gab es keinen Doppellaut. Nein, normale Buchstaben konnten es nicht sein. Das ergab keinen Sinn.
    Zwei der Zeichen aus dem Namensring kamen im Hieroglyphenbuch des Horapollo vor: der Löwe und die Schlinge. »Wollen die Ägypter Geisteskraft bezeichnen, so malen sie einen Löwen«, hieß es dort, oder: »Kraft bezeichnen sie, indem sie das Vorderteil eines Löwen malen.« Horapollo behauptete aber auch so haarsträubende Dinge wie: »Für unbändigen Jähzorn, durch welchen der davon Heimgesuchte fieberkrank wird, malen sie einen Löwen, der seine Jungen mit dem Schwanz peitscht. Einen Löwen wegen des Zorns. Die mit dem Schwanz getöteten Jungen aber, weil ihre Knochen beim Aneinanderstoßen Feuer von sich geben.« Oder, ein paar Seiten weiter: »Sie zeigen einen, der fieberkrank gewesen ist und sich selbst geheilt hat, durch das Bild eines Löwen, der einen Affen verschlingt. Denn wenn der von Fieber geplagte Löwe einen Affen frißt, wird er sofort gesund.« Blanker Unsinn, ohne Frage. Zudem stellte keine der Hieroglyphen derart dramatische Handlungen dar; die Figurenagierten nicht, sondern jede stand für sich an ihrem Platz. Jean-François haßte diesen Horapollo, und insgeheim stimmte er Denons Vermutung zu, daß der Verfasser der »Hieroglyphica« ein aufgeblasener Hanswurst gewesen sein mußte, den die ägyptischen Priester zum Narren gehalten hatten. Andrerseits wollte er nicht glauben, daß dieses Buch völlig wertlos war. Ein wahrer Kern mußte in alledem stecken, ein gültiges, aber grotesk fehlinterpretiertes Prinzip. Möglicherweise gab Horapollo die Bedeutung mancher Hieroglyphen korrekt wieder, versah sie aber mit völlig absurden Begründungen.
    Einige krude Behauptungen Horapollos erinnerten verblüffend an Passagen des römischen Schriftstellers Älian. Der hatte in seinem Buch »Über die Natur der Tiere« unter anderem dargelegt, daß es keine männlichen Geier gäbe und das Geierweibchen von der einströmenden Luft des Windes geschwängert werde, was identisch war mit jener Horapollo-Behauptung, über die sich Denon so köstlich zu amüsieren wußte. Älian schrieb auch, daß der Löwe, wenn er sich überfressen habe, Affenfleisch als Brechmittel benutze. Das bestärkte Jean-François in der Annahme, Horapollo könne korrekte Deutungen einzelner Hieroglyphen mit verqueren Begründungen, die er von anderen Autoren abgeschrieben hatte, kombiniert haben.
    Das Symbol der Schlinge, also die dritte Hieroglyphe in der Ptolemaios-Kartusche, fand in der »Hieroglyphica« folgende Erwähnung: »Eine Schlinge bezeichnet Liebe, die wie ein wildes Tier ist.« Das klang insofern einleuchtend, als wilde Tiere allgemein mit Schlingen gefangen oder gefesselt wurden. War Pharao Ptolemaios vielleicht ein »wildes Tier« in Liebesdingen? Symbolisierte die Schlinge eine leidenschaftliche Liebe des Herrschers, vielleicht zur Königin Arsinoë, von der auf dem Stein die Rede war? Sollte ihn die

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