Der Raub des Wikingers
weinte. Sie wusste auch nicht, ob sie ihn störte. Wahrscheinlich schon.
Dennoch setzte sie sich neben ihn auf den Steinboden und legte ihm die Hand in den Nacken. Heute trug er eines der losen, arabischen Gewänder wie das, in dem sie ihn zuerst gesehen hatte.
»Danke«, sagte sie und meinte es sehr ernst.
Er hob nicht den Kopf, wandte sich aber so, dass er sie ansehen konnte. »Wofür? Es wird Tage dauern, bis wir wissen, ob dein Vater sich erholt.«
»Das spielt keine Rolle«, erwiderte sie und ließ ihre Hand zu seiner Schulter gleiten, um sie kurz als Zeichen ihrer Wertschätzung zu drücken. »Ich will natürlich nicht sagen, dass das Leben meines Vaters keine Bedeutung hat. Ich weiß nur, dass du eigentlich gar nicht mehr als Heiler arbeiten wolltest, schon gar nicht an einem so schweren Fall.«
»Und auch nicht in einem anderen Land, in das man mich gegen meinen Willen verschleppt hat«, ergänzte er. Belustigung schwang jetzt in seiner Stimme mit, und sie wusste, dass er sie wieder neckte.
»Das auch«, musste sie zugeben. »Aber trotz all deiner Einwände hast du sehr gute Arbeit geleistet. Ich bin beeindruckt.«
»Beeindruckt, ja? Das gefällt mir.« Er setzte sich aufrecht, was Tyra bedauerte. Jetzt hatte sie keinen Grund mehr, ihn anzufassen. Dabei mochte sie das Gefühl seiner feinen Haare unter ihren Fingerspitzen und der starken Rückenmuskeln unter ihrer Handfläche.
»Pass auf, dass du nicht noch selbstherrlicher wirst als du ohnehin schon bist. Sonst platzt du noch vor Stolz.« Tyra lächelte. Sie hatte keine Erfahrung damit, Männer zu necken. »Ich habe mich nur d a für bedankt, dass du deine Aufgabe so gut erfüllt hast. Also antworte nur >Gerne geschehen, Mylady<, wie es sich für einen demütigen Heiler gehört.«
»Demütiger Heiler?«, schnaubte er, und diese Beschreibung von sich selbst schien ihm gar nicht zu gefallen. Ihr Herz flog ihm entgegen. Er sah trotz aller Spaßerei erschöpft aus, und das war kein Wunder. Er hatte zwei Stunden lang operiert und ihren Vater zwei weitere Stunden hinterher beobachtet. Jetzt wollte er sicherlich nach Hause zurückkehren. »Ich habe es für unser Abkommen getan, Tyra. Unterstelle mir bloß nicht edle Motive. Du hast mir etwas versprochen, und ich habe vor, das bald einzulösen.«
Sie errötete trotz aller Vorsätze, genau dieses nicht mehr zu tun. »Ich glaube keine Minute lang, dass du meinen Vater meinetwegen operiert hast. Du hast es getan, weil ein Mensch deine Hilfe brauchte. Du hast es getan, weil du Arzt bist.«
Er zuckte die Achseln. »Vielleicht von allem etwas, dich und dein Versprechen eingeschlossen. Wie dankbar bist du denn genau?«
Uh-oh. »Was meinst du?« Aber sie war sich ziemlich sicher, was er meinte. Irgendetwas mit Bettdecken.
»Willst du heute Nacht unter meine Bettdecke kommen?«
»Nein!«, gab sie viel zu schnell zurück. »Das war nicht unser Abkommen.«
Er sah sie aus schmalen Augen an. »Hast du vor, dich jetzt um dein Versprechen zu drücken? Dein Wort hat dich gebunden oder habe ich das falsch verstanden?«
»Mein Wort gilt. Wenn du meinen Vater heilst ... dem habe ich zugestimmt, nichts anderem.«
»Ich glaube, du hast Recht. Ich hatte nur gedacht, dass du mir vorher vielleicht schon ein kleines Zeichen deiner Dankbarkeit zeigen willst.«
»Kleines Zeichen?«, fragte sie skeptisch. »Wie ein Geschenk? Eine goldene Münze? Einen gravierten Armreif aus Silber? Einen juwelenbesetzten Becher?«
»Das ist nicht ganz das, woran ich dachte.« Seine Augen zwinkerten höchst verwirrend.
Tyra hatte keine Ahnung, wie sie mit diesem Mann umgehen sollte. Er war ganz einfach ein Schuft. Erst verletzte er ihren Stolz, indem er ihre Ehre in Frage stellte, und dann zwinkerte er sie gewinnend an. Wie sollte eine Frau da wissen, wann er es ernst meinte? »Was dann?«, erkundigte sie sich kühl.
»Ooooh, lass mich überlegen.« Nachdenklich runzelte er die Stirn. »Ein Kuss wäre nett.«
»Ein Kuss?«, quiekte Tyra. »Ich biete dir eine Kostbarkeit an, und du gibst dich mit einem bloßen Kuss zufrieden?«
»Es wäre kein bloßer Kuss, versichere ich dir. Offen gesagt habe ich mehr Kostbarkeiten, als ich brauchen kann. Du magst es nicht glauben, aber ich war in den letzten fünfzehn Jahren nicht nur Heiler, sondern auch Ritter.
Ich habe viele Schlachten geschlagen und viele Preise errungen.«
»Wenn das kein Interessenkonflikt ist.« Tyra lachte. »Hast du deinem Feind das Schwert in den Leib gestoßen und ihn danach
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