Der Reisende
des menschlichen Lebens.«
»Ich glaube, es war Hoffnung«, sagte Calvin. »Hoffnung und Nächstenliebe.«
»Hoffnung ist die süße, schwache Schwester des Ehrgeizes. Hoffnung ist Ehrgeiz, der gemocht werden will.«
Calvin lächelte. »Deshalb bin ich hier«, sagte er.
»Nicht, um meine Gicht zu heilen.«
»Um Euren Schmerz zu lindern, wie Ihr mein Unwissen lindert.«
»Was willst du bei Kräften, wie du sie hast, mit meinen kleinen Gaben anfangen, die mir geholfen haben, die Welt zu erobern?« Bonapartes Ironie war schlicht und schmerzlich.
»Meine Kräfte sind nichts im Vergleich zu denen meines Bruders, und er ist der einzige Lehrer, von dem ich sie erlernen kann. Also brauche ich andere Kräfte, die er nicht hat.«
»Meine.«
»Ja.«
»Woher soll ich wissen, daß du sie nicht gegen mich richten und versuchen wirst, mir mein Reich zu nehmen?«
»Wollte ich es, könnte ich es jetzt haben«, sagte Calvin.
»Es ist eine Sache, den Leuten angst zu machen, indem man seine Macht zur Schau stellt«, sagte Bonaparte. »Aber Angst allein verschafft einem nur Gehorsam, wenn man selbst anwesend ist. Ich habe die Macht, die Leute gehorsam zu halten, selbst wenn ich Ihnen den Rücken zudrehe, selbst wenn keine Aussicht besteht, daß ich sie jemals bei ihren Missetaten erwische. Sie lieben mich, sie dienen mir mit ganzem Herzen. Selbst wenn du jedes Gebäude in Paris zusammenbrechen ließest, würdest du damit nicht die Treue meiner Volkes gewinnen.«
»Weil ich das weiß, bin ich hier.«
»Weil du die Treue der Freunde deines Bruders gewinnen willst«, sagte Bonaparte. »Du willst, daß sie deinen Bruder zurückweisen und dich an seine Stelle setzen.«
»Nennt mich Kain, wenn Ihr wollt, aber ja«, sagte Calvin. »Ja.«
»Das werde ich dich lehren«, sagte Bonaparte. »Aber kein Schmerz. Und auch keine kleinen Spielchen mit dem Schmerz. Wenn der Schmerz zurückkommt, werde ich dich töten lassen.«
»Ihr könnt mich nicht mal in einem Gefängnis halten, wenn ich nicht dort bleiben will.«
»Wenn ich entscheide, dich zu töten, Junge, wirst du es nicht mal kommen sehen.«
Calvin glaubte ihm.
»Sag mir, Junge …«
»Calvin.«
»Junge, unterbrich mich nicht, verbessere mich nicht.« Bonaparte lächelte freundlich. »Sag mir, Calvin, hattest du keine Angst, daß ich deine Treue gewinnen und mir deine Begabung zu Diensten machen würde?«
»Wie Ihr sagtet«, antwortete Calvin, »Eure Kräfte haben kaum Auswirkungen auf Menschen, deren Ehrgeiz so groß wie Euer eigener ist. In Wirklichkeit richtet Ihr nur die Güte der Menschen gegen sie, um sie zu beherrschen. Ihre Großzügigkeit. Stimmt das nicht?«
»In gewisser Hinsicht, obwohl es viel komplizierter als das ist. Aber ja.«
Calvin lächelte breit. »Nun denn, seht Ihr? Ich wußte, daß ich immun bin.«
Bonaparte runzelte die Stirn. »Bist du dir dessen sicher? Bist du so stolz darauf, ein Mann zu sein, der nicht die geringste Generosität kennt?«
Calvins Lächeln verblich nur ein wenig. »Old Boney, der Schrecken Europas, der Eroberer von Reichen – Old Boney ist über meinen Mangel an Mitgefühl schockiert?«
»Ja«, sagte Bonaparte. »Ich hätte nie gedacht, jemals so einen Menschen zu sehen. Einen Mann, über den ich nie Macht haben werde … und doch werde ich dich bei mir bleiben lassen, wegen meines Beins, und ich werde dir alles beibringen, was man dir beibringen kann. Wegen meines Beins.«
Calvin lachte und nickte. »Dann haben wir eine Abmachung.«
Erst, nachdem man ihn später in eine luxuriöse Wohnung im Palast geführt hatte, kam Calvin in den Sinn, ob Bonapartes Eingeständnis, Calvin nicht beherrschen zu können, vielleicht nur ein Trick gewesen war. Vielleicht hatte Bonaparte ja schon längst die Kontrolle über Calvin, beließ ihn jedoch wie all seine anderen Werkzeuge weiterhin in der Meinung, er sei frei.
Nein, sagte er sich. Selbst wenn es stimmt, wird es mir nichts nützen, darüber nachzudenken. Es ist geschehen, oder es ist nicht geschehen, und so oder so bin ich noch ich selbst und muß mich mit Alvin befassen. Tausendmal mächtiger als ich! Tausendmal tugendhafter! Das werden wir sehen, wenn die Zeit reif ist, wenn ich dir deine Freunde wegnehme, Alvin, wie du mir mein Geburtsrecht gestohlen hast, du diebischer Esau, du Gruben aushebender Reuben, du eifersüchtiger, spöttischer Ischmael. Gott wird mir mein Geburtsrecht geben und hat mir Bonaparte gegeben, damit er mir zeigt, wie man damit etwas anstellt.
Alvin merkte
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