Der Rote Sarg
Nagorski neu aufgerollt. Allerdings wurde mir der Fall entzogen.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Pekkala.
»Man hat mir gesagt, dass ab sofort Sie und Major Kirow die Ermittlungen leiten.«
»Wir?«, entfuhr es Kirow, während er die Pflanze auf das Fensterbrett zurückstellte.
»Ich wollte es Ihnen gerade mitteilen«, erklärte Pekkala.
»Um die Wahrheit zu sagen«, begann Lysenkowa, »ich wollte den Fall von Anfang an gar nicht.«
»Warum?«, fragte Pekkala. »Sie schienen doch so überzeugt zu sein.«
»Ich war von einigen Dingen überzeugt«, erwiderte Lysenkowa. »Und es stellte sich heraus, dass ich mich in allem getäuscht habe. Deshalb brauche ich jetzt Ihre Hilfe.«
Pekkala nickte leicht verwirrt.
»Ich muss weiter an dem Fall arbeiten«, sagte sie.
Pekkala ließ sich auf seinem Stuhl nieder und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Aber Sie sagten doch gerade, dass Sie den Fall überhaupt nicht wollten.«
Lysenkowa schluckte. »Ich kann es erklären«, sagte sie.
Pekkala hob auffordernd die Hand. »Bitte!«
»Bis gestern hatte ich vom Konstantin-Projekt noch nie gehört. Als Hauptmann Samarin anrief und mir mitteilte, dass Oberst Nagorski tot sei, sagte ich ihm, dass er die falsche Nummer gewählt habe.«
»Warum waren Sie dieser Meinung?«
»Wie Sie wissen, bin ich für interne Ermittlungen zuständig. Meine Aufgabe ist es, Vergehen zu ahnden, die innerhalb des NKWD verübt wurden. Das habe ich Samarin erklärt, daraufhin sagte er mir, dass jemand im NKWD für Nagorskis Tod verantwortlich sein könnte.«
Pekkala horchte auf. »Hat er auch gesagt, warum er das glaubt?«
»Der Standort der Anlage ist streng geheim«, fuhr Lysenkowa fort. »Laut Samarin hatten nur NKWD-Angehörige Zugang zu diesen Informationen, und nur sie wären in der Lage gewesen, Informanten in die Anlage einzuschleusen. Wir hatten keine Zeit, um das näher zu besprechen. Er sagte mir, ich solle so schnell wie möglich kommen. Zu diesem Zeitpunkt war mir klar, dass mir keine andere Wahl bleibt, auch wenn die Sache nichts mit den Fällen zu tun hatte, für die ich normalerweise zuständig bin. Ich befasse mich mit Korruption und Erpressung, aber nicht mit Morden, Inspektor Pekkala. Und schon gar nicht mit von Panzerketten zermalmten Leichen! Deshalb habe ich das Geschossfragment nicht entdeckt, das Sie aus dem Schädel geholt haben.«
»Ich verstehe nicht ganz, Major. Einerseits sagen Sie, Sie wollen mit dem Fall überhaupt nichts zu tun haben, und mir kommt es vor, als würde Ihnen dieser Wunsch nun erfüllt werden, andererseits wollen Sie jetzt aber trotzdem weiter daran arbeiten.«
»Es geht nicht darum, was ich will, Inspektor, sondern was ich muss! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich wegen der falschen Schlussfolgerungen im Fall Nagorski konterrevolutionärer Aktivitäten beschuldigt werde. Meine einzige Chance besteht also darin, weiter an dem Fall zu arbeiten, bis er gelöst ist, und der Einzige, der das bewirken kann, sind Sie.«
Pekkala schwieg eine Weile. »Verstehe«, sagte er schließlich, »aber ich werde mit Major Kirow reden müssen, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann.«
»Mir ist klar, dass unser Verhältnis bislang nicht das beste war, aber ich könnte Ihnen nützlich sein.« Etwas Flehendes hatte sich in ihre Stimme geschlichen. »Ich weiß, wie der NKWD funktioniert. Wenn Sie gegen NKWD-Angehörige ermitteln, werden sich die Reihen schließen. Sie werden nicht ein Wort aus ihnen herausbekommen. Aber ich kann es, und ich werde es tun, falls Sie mich lassen.«
»Gut.« Pekkala nahm die Füße vom Tisch und stand auf. »Wir werden Ihnen unsere Entscheidung so schnell wie möglich mitteilen. Bevor Sie gehen, Major, eine letzte Frage.«
»Natürlich, Inspektor. Nur zu!«
»Was wissen Sie über die Weiße Gilde?«, fragte Pekkala, während er sie hinausbegleitete.
»Nicht viel, leider. Sie ist eine der geheimsten Abteilungen im Büro für besondere Operationen.«
»Haben Sie gehört, dass sie in letzter Zeit irgendwo erwähnt wurde?«
»Im Büro für besondere Operationen wimmelt es von Phantomen, Inspektor. Sie sollten das wissen, Sie sind schließlich eines davon. Da, wo ich herkomme, wird noch nicht einmal der Name ausgesprochen.«
»Danke, Major«, sagte Pekkala mit einem Seufzen.
»Ach, fast hätte ich es vergessen.« Lysenkowa zog einen verschmutzten, zerknüllten Zettel aus der Tasche. »Betrachten Sie das als Friedensangebot.«
Mit zusammengekniffenen Augen besah
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