Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
der Aussicht auf eine willkommene Erfrischung. Auch die Ochsen schienen das nahe Wasser zu riechen. Mit einem Mal hoben sie ihre Köpfe, stießen einen lauten Ruf aus und zogen ungebärdig an ihren Jochen. Die Treckführer hatten Schwierigkeiten, ihnen Einhalt zu gebieten. Voller Vorfreude sah Jella, wie sich die blauen Felsen rasch im orangeroten Abendlicht näherten. Doch kaum hatten sie den ersten Felsen erreicht, als ein ohrenbetäubender Schuss die Luft zerschnitt. Bevor der vorausreitende Bewaffnete zu seinem Gewehr greifen konnte, stürzte er getroffen vom Pferd. Der zweite Bewaffnete entsicherte hektisch sein Gewehr und schoss blind in die Richtung, aus der nun mehrere Salven folgten. Einer der Treckführer sackte schreiend zu Boden. Ein Tumult brach aus. Marktler und Bittel waren unterdessen hastig zu den Planwagen gekrochen und griffen nach den bereitgelegten Gewehren. Jella hatte sich rückwärts in den Wagen fallen lassen, nachdem ein Geschoss nur wenige Zentimeter über ihrem Kopf durch die Plane geschlagen war.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, brüllte Marktler. »Das ist ein Überfall! Verflucht!«
Mutig sprang er vom Kutschbock und suchte unter dem Wagen Schutz. Bittel hatte unterdessen die Wagen so in Position gebracht, dass sie sich darunter verschanzen konnten. Auch die verbliebenen
fünf Treckführer folgten ihm. Als sie allerdings ein Dutzend Reiter auf die Wagenburg zupreschen sahen, krochen sie eiligst wieder aus der Deckung hervor und suchten ihr Heil in der Flucht. Mit wilden Sprüngen hasteten sie von Busch zu Busch und nutzten die beginnende Dämmerung, um sich zu verstecken. Zurück blieben die drei Männer und Jella. Mit der aufkommenden Dunkelheit setzte der Kugelhagel plötzlich aus. Innerhalb weniger Minuten war es tiefschwarze Nacht geworden. Nun bekam sie es erst recht mit der Angst zu tun. Ihr Herz krampfte sich panisch zusammen, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie sich in einer ähnlich aussichtslosen Lage befand wie damals in dem Berliner Atelier. Unkontrolliertes Zittern ergriff ihren Körper. Ihr war, als schnüre ihr jemand die Kehle zu. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihr, ihre Panik unter Kontrolle zu bekommen. Nein, sie durfte sich nicht noch einmal zum Opfer machen lassen! Hektisch suchte sie nach einer Waffe, mit der sie sich verteidigen konnte. Im Seitenfach des Wagens fand sie einen Revolver. Sie hatte noch nie so ein Ding in der Hand gehabt und hoffte inständig, dass er geladen war. Dunkle, kehlige Rufe waren zu hören. Was hatten die Banditen vor? Jella lauschte. Plötzlich hörte sie wieder einen Schuss. Er kam von unterhalb ihres Wagens. Dann hörte sie Keuchen und einen kurzen Kampf. Wieder Schüsse. Dann ein lautes Jubeln. Es kam von rauen Kehlen, die eine für Jella unverständliche Sprache sprachen.
Sie haben unsere Männer getötet, schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt bin ich an der Reihe. Ungewollte Bilder stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Hände, die ihr die Kleider vom Leib rissen und ihr erneut Gewalt antaten. Sie umfasste den Revolver und zielte bibbernd auf die Öffnung des Planwagens. Doch die Banditen hatten das Branntweinfass im anderen Wagen entdeckt. Sie hörte freudige Schreie und ausgelassene Rufe. Der Mann, der sich gerade noch an ihrem Wagen zu schaffen gemacht hatte, ließ wieder davon ab. Offensichtlich machten sich die Männer nun über den
Alkohol her. Das war ihre Chance. Die Banditen waren für den Moment abgelenkt. Wenn sie sich geschickt anstellte, konnte sie durch die Zeltplane schlüpfen und im Schutz der Dunkelheit fliehen. Stück für Stück schob sie sich in den hinteren Teil des Wagens, lüpfte die Zeltplane und äugte hinaus. Die Luft schien rein. Vorsichtig schlüpfte sie hinaus. Schlotternd vor Angst setzte sie nun auch den zweiten Fuß auf den Boden. Im gleichen Augenblick wurde ihr Knöchel plötzlich von einer Hand umfasst, die unter dem Wagen hervorschnellte. Jella schrie vor Schreck auf und trat gleichzeitig instinktiv mit ihrem freien Fuß nach ihrer Fessel. Die Hand löste sich und erschlaffte. Jella wagte nicht nachzusehen, zu wem sie gehörte. Doch ihr Schrei hatte die Aufmerksamkeit eines der Banditen auf sich gezogen. Ein Hüne von Mann kam auf sie zu. In der Dunkelheit konnte sie nur das Helle in seinen Augen aufblitzen sehen, was ihn noch unheimlicher erscheinen ließ. Jella hatte immer noch ihren Revolver in der Hand. Ohne lange nachzudenken, richtete sie die Schusswaffe auf den Fremden,
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